Konzept

 

ANTIGEWALT

TRAINING

(AGT)

Bewährungshilfe des Landgerichts Koblenz

Charlottenstr. 54

56077 Koblenz

Tel: (02 61) 97 28 10;

Fax: (02 61) 9 72 81 33

Erstellt von:

Axel Both, Lambert Eis, Ute Jung-Wagner, Ulrike Meyburg, Peter Raithel, Karin Richter, Günter Stendebach

Koblenz, Dezember 1999

 


Inhaltsverzeichnis

 

1. Gewaltdiskurs/Einführung

2. Motivation der Koblenzer BewährungshelferInnen

3. Das AGT und seine Grenzen

3.1. Ziel

3.2. Inhalt

3.3. Zielgruppe/Aufnahmekriterien/Ausschlusskriterien

3.4. Team

3.5. Methoden

4. Konkreter Trainingsverlauf

5. Kollegiale Beratung

6. Evaluation/Auswertung/Erfolgskontrolle

7. Finanzierung

 

 

 

1. Gewaltdiskurs/Einführung

Wie jede Diskussionswelle, so hat auch eine intensive Beschäftigung mit dem Thema "Jugendgewalt" in den letzten Jahren zu vielfältigen Aktivitäten auf verschiedenen Handlungsebenen geführt. So entstanden bundesweit verschiedene Projekte und Handlungskonzepte zur Reaktion auf das Phänomen "Jugendgewalt". Den verschiedenen Deutungen von Gewalt/Gewaltbereitschaft, Gewaltintensität und Gewaltursachen ist gemein, dass Gewalt hier multikausal betrachtet wird.

Alle neuen Ansätze zur Begegnung von Jugendgewalt machen deutlich, dass eine Erneuerung des Erziehungssystems, neue Methoden, neue präventive Institutionen und neue organisatorische und kooperative Strukturen notwendig sind.
Basierend auf den positiven Erfahrungen des Antigewalttrainings der Jugendstrafanstalt Hameln Mitte der 80-er Jahre entstanden in den letzten Jahren konkrete Konzepte und Handlungsansätze, die für die Entwicklung des Antigewalttrainings (AGT) der Koblenzer BewährungshelferInnen wichtige Quellen waren.

2. Motivation der Koblenzer BewährungshelferInnen

In unserem Arbeitsalltag als BewährungshelferInnen arbeiten wir bislang in der Regel ausschließlich im Rahmen klassischer Einzelfallhilfe. Hierbei stellten einige von uns gerade im Umgang mit jungen gewalttätigen oder ge-waltbereiten Probanden fest, dass mit den bisher praktizierten methodischen Ansätzen eine grundlegende Einstellungs- und Verhaltensveränderung kaum zu erreichen ist.
Hieraus resultiert, dass auch die Bewährungshilfe sich diesem Deliktfeld annehmen sollte, indem sie konkrete Angebote gegen Gewalt unterbreitet.

Nach Teilnahme einzelner KollegenInnen an Fortbildungen zum Thema "Umgang mit Gewalttätern/AGT" und Auseinandersetzung mit dem Thema "Jugendgewalt" auf verschiedenen Ebenen wuchs zunehmend das persönliche Interesse und der Wunsch der KollegenInnen selbst mit dem be-troffenen Täterkreis methodisch anders zu arbeiten.

3. Das AGT und seine Grenzen

Basierend auf den Erfahrungen der JVA Hameln, der Bewährungshilfe Essen, des Projektes "Antigewalttraining" des Vereins Kehrtwende e. V. in Mannheim und anderen ist AGT ein übungsorientiertes Angebot für Gewalttäter. Hierbei wird im Rahmen eines speziellen sozialen Trainings mit themenbezogener Gruppenarbeit, körpersprachlichen, verbal-konfrontativen, erlebnispädagogischen, sowie sportlichen Elementen gearbeitet. Das von uns durchgeführte AGT hat keinen therapeutischen Anspruch.
"Man kann es nicht erreichen, aus einem Gewalttäter einen Pazifisten zu machen. Was man aber sehr wohl erreichen kann, ist, dass diese Jugendlichen sich seltener schlagen und außerdem weniger extrem" (Weidner J., Kilb R., Kreft D. (Hrsg) 1997: Gewalt im Griff. Neue Formen des Anti - Aggressivitäts - Trainings, S. 18).

3.1. Ziel

AGT soll die Hemmschwelle des Täters, Gewalt anzuwenden, erhöhen. Die Häufigkeit und Intensität von Gewalt soll reduziert werden. Den Teilneh-mern werden eigene Gewaltpotentiale vor Augen geführt, um deutlich zu machen, welchen Anteil sie selbst an der Eskalation konfliktreicher Situ-ationen haben.

Sie sollen lernen:
- körpersprachliche Signale wahrzunehmen und deren Wirkungen zu erkennen

- bisher "zwingende Notwendigkeiten" ihrer Gewalttäigkeit in Frage zu stellen

- gewaltaffine Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und einen
persönlichen Rückzug oder die Schlichtung als
Handlungsalternative einzusetzen

- in der Lage zu sein, eine eigene Kosten-Nutzen-
Analyse aufzustellen

- eigene kränkbare Persönlichkeitsanteile zu respektieren
und damit auch eine Betroffenheit für ihre eigenen Gewalttaten herstellen

- die Dissonanz zwischen Selbst- und Fremdbild zu erkennen

- Verantwortung für die Tat zu übernehmen

- Mitgefühl für das Opfer zu entwickeln, indem sie das Opferleid durchleben (Mitgefühl statt Verharmlosung)
- dass Provokation nicht existenzbedrohend ist und
möglichst auch in provokativen Situationen gelassen zu bleiben.

3.2. Inhalt

Morenos theaterreife Dramatisierungen, Perls Fokussierung auf den "heißen Stuhl", Farrellys Mischung aus Provokation und Humor sind die wichtigen Eckpfeiler des AGT-Trainings für Gewalttäter (a.a.O.; S. 13). "Durch Modellernen, differenzielle Bekräftigung und systematisches Desensibilisieren soll das gewalttätige Verhalten abtrainiert werden. Ergänzt wird dieses Verhaltenstraining durch die kognitive Komponente, nach der im Kopf das Denken und die Einstellung des Gewalttäters in Frage gestellt werden sollen. Eine falsche Hypothese lautet, dass Gewalt stark und unan-greifbar mache. Die Realität sieht dagegen anders aus: Die Gewalt hat Schmerz und Leid bei den Opfern hinterlassen. Diese Unangreifbarkeits-einstellung gilt es zu verändern" (a.a.O.; S. 74).
Weidner und Wolters geht es im Umgang mit jungen Gewalttätern darum, sie mit den Taten ernst zu nehmen, die sie begangen haben. Man konfron-tiert Gewalttäter dort mit ihrem Handeln und den Folgen für die Opfer, wobei nicht die gesamte Person des Täters bewertet wird, wohl aber ihr Tun.

3.3 Zielgruppe/Aufnahmekriterien/Ausschlusskriterien

Zielgruppe unseres Antigewalttrainings sind zunächst männliche Probanden der Altersgruppe von 14 bis ca. 25 Jahren, die zu Jugendstrafe oder Freiheitsstrafe verurteilt wurden und denen ein hauptamtlicher BewährungshelferIn beigeordnet wurde und die Gewalt zur Durchsetzung persönlicher Interessen einsetzen. Dabei ist es für uns nicht entscheidend, ob ein Täter aufgrund eines Körperverletzungs- oder Gewaltdeliktes verurteilt wurde. Er sollte von dem ihn betreuenden Bewährungshelfer jedoch als potentiell gewaltbereit oder gewalttätig eingeschätzt werden oder in diesem Bereich stark gefährdet sein.

Zunächst wollen wir die Trainings mit männlichen Probanden starten, wobei sich im Laufe der praktischen Erfahrungen auch eine Teilnahme von Frauen ergeben kann.

Durch die Trainer werden die Teilnehmer umfassend über das geplante AGT informiert. Bei Aufnahme ist seitens des Teilnehmers eine schriftliche Einverständniserklärung abzugeben. Hiermit erteilt er seine Zustimmung, dass JGH-Berichte, Urteile und bei Bedarf auch Ermittlungsakten durch die Trainer angefordert und eingesehen werden dürfen.
Der Teilnehmer gibt eine klare Erlaubnis und erklärt schriftlich sein Einverständnis über den Umgang mit provokativen und konfrontativen Übungsmethoden.

Ausgeschlossen von AGT-Trainings sind Sexualstraftäter, akut suchtmittelabhängige sowie psychisch kranke Probanden. Zudem müssen die Teilnehmer intellektuell wie sprachlich in der Lage sein, den Trainings folgen zu können.

Die Trainer entscheiden nach dem Vorgespräch mit dem potentiellen Teil-nehmer über dessen Aufnahme in das AGT.

 

3.4. Team

Das Team setzt sich aus 2-3 Trainern zusammen, die Mitglieder der Anti-Gewalt-Arbeitsgemeinschaft sind. In verschiedenen Phasen des Trainings werden externe Experten/Referenten beteiligt.

 

3.5. Methoden

Das AGT wird in Form von Gruppenarbeit durchgeführt. Einzelfallhilfe findet zielgerichtet statt. Das nachfolgende Curriculum ist beispielhaft aufgeführt und nicht abschließend. Jeweilige Elemente werden während des Trainings prozeßorientiert eingesetzt. Als unverzichtbare Lerninhalte gelten das Körpersprachetraining, die Expertenbefragung, das verbal-konfrontative Training und die Opferperspektive.

- Gruppenarbeit

Das Leben und Handeln von Individuen findet in und durch Gruppen statt. Die soziale Gruppenarbeit im AGT knüpft an die Funktion der Gruppe als Anpassungsinstrument an, in dem jeder Teilnehmer am Modell der anderen lernen kann, sein Verhalten zu modifizieren.

- Einzelfallhilfe

Einzelfallhilfe findet im Training vorwiegend Anwendung zur Auswahl und Aufnahme der Teilnehmer, zur Erstellung der Täterprofile und zur Krisenintervention.

- Körpersprachetraining

Mit dem Training der Körpersprache kann die Diskrepanz von verbalem und nonverbalem Verhalten aufgezeigt werden. Gleichzeitig kann die Wahrnehmung von und Sensibilisierung für Körpersignale geschärft und geschult werden. Exemplarisch finden Konfliktrollenspiele mit Elementen aus dem Psychodrama und Nähe- und Distanzübungen Anwendung.

- Erlebnispädagogische Maßnahmen

Je nach Zusammensetzung der Gruppe können erlebnispädagogische Maßnahmen wie z. B. Freizeitwochenende, Fahrradtour, Kanutour,
Klettern, Wandern usw. angeboten werden. Eine solche Maßnahme kann als Einstieg und Anreiz sinnvoll sein, um durch intensives Erleben die Bildung einer Gruppe zu erreichen, die als norm- und wertgebende Instanz akzeptiert wird. Ebenso kann die erlebnispädagogische Einheit innerhalb eines Trainingskurses durchgeführt werden mit dem Ziel "Normalität" ohne Gewalt als positives Lebensgefühl zu erleben.

- Sport als Medium zur Aggressionsbewältigung

Grundsätzlich ist Sport zur Kanalisation von Aggressionen geeignet. Ein Baustein des AGT kann daher die asiatische Kampfkunst sein. Der theoretische Teil beinhaltet die Lehre und Philosophie dieser Sportart über Einheit von Körper und Geist. Die praktischen Übungen sollen Körper- und Selbstbeherrschung, Fairneß und Kontrolle erlebbar vermitteln. Entspannungsübungen und Meditation werden als Ausgleichselemente eingefügt.

 

 

- Psychologischer Steckbrief
Der psychologische Steckbrief beinhaltet schriftliche Aussagen zur persönlichen Einschätzung der eigenen Gewaltbereitschaft. Er dient als Grundlage zur Befragung auf dem "Heissen Stuhl".

- Expertenbefragung/Interview

Der Teilnehmer ist der "Experte" in Sachen Gewalt. Er wird vom Trainer detailliert zum Tathergang befragt. Hierzu zählt die Benennung der Aggressionsauslöser und der Rechtfertigungsgründe für die Tat. Gefragt wird auch nach den eigenen Gefühlen und Phantasien des Täters. Während des Interviews wird ein Fokus auf das Opfererleben gerichtet. Es wird nach der Beziehung zum Opfer, dessen Verletzungen und nach den Folgen gefragt. Zum Abschluß des Interviews soll der Teilnehmer drei Stärken und drei Schwächen von sich angeben. Aus den Angaben wird ein Gewalttäterprofil erstellt.

- Verbal-konfrontatives Training "Heisser Stuhl"

Grundlage für den "Heissen Stuhl" ist der psychologische Steckbrief und das Täterprofil. Der Täter wird mit seiner konkreten Tat konfrontiert. Es werden Legendenbildungen schonungslos aufgedeckt. Dabei können unterschiedliche Strategien angewendet werden, von Infragestellung der Aussagen, über "verbale Anmache" bis zu "körperlichem Übergriff". Der Täter wird mit der Opferperspektive konfrontiert. Ziel ist es, dem Täter Empathie für sein Opfer zu vermitteln, in der konfrontativen Situation cool zu bleiben und seine Reizschwelle zu erfahren. Er soll Verhalten und Einstellung reflektieren und neue Konfliktlösungsstrategien entwickeln.

 

- Opferperspektive

In den Sitzungen "Heisser Stuhl" wurden die Täter bereits mit der Opferperspektive konfrontiert. Diese stellt einen wesentlichen Schwerpunkt im AGT-Training dar, gerade weil sie das Tabuthema der Täter ist. Ziel ist Betroffenheit, Mitgefühl und Einfühlungsvermögen für das Leid des Opfers zu wecken und Scham für die eigene Tat zu entwickeln. Gleichzeitig soll damit der Spass an Gewalt verdorben werden. Innerhalb der ausführlichen und intensiven Auseinandersetzung mit diesem Thema können die Täter einen Opferbrief verfassen, der nicht abgeschickt wird. Eine Analyse der Briefe durch die Teamer gibt Aufschluss darüber, inwieweit der Täter sich mit der Tat auseinandergestzt hat und ob er die Verantwortung für das Geschehen selbst übernimmt.

 

4. Konkreter Trainingsverlauf

Die Gesamtdauer des Trainings wird etwa 4 Monate umfassen. Die Gruppenabende finden jeweils 1 x wöchentlich mit einer Dauer von 2 - 3 Zeitstunden statt. Die Gruppe setzt sich aus max. 8 Teilnehmern zusammen.

Erste Einheit:

Weitere Einheiten:

 

Letzte Einheit:

5. Kollegiale Beratung

Sowohl für die Trainer, als auch für die Mitglieder der Arbeitsgruppe "Antigewalttraining" kommt der kollegialen Beratung innerhalb des Teams eine grosse Bedeutung zu.

Darüber hinaus ist es wichtig, in ein regelmässiges Reflexions-, Fortbildungs- und Supervisionssystem eingebunden zu sein.

 

6. Evaluation/Auswertung/Erfolgskontrolle

Evaluation beinhaltet die Überprüfung und Bewertung des Anti-Gewalt-Trainings. Mittels standardisierter Verfahren und Tests werden die Wirkung und Ergebnisse der Trainings ermittelt und dokumentiert.

Die Trainer führen eine begleitende, prozesshafte Auswertung der einzelnen Trainingssitzungen durch, um so auftretende Probleme und Unzulänglichkeiten frühzeitig zu erkennen und zu bearbeiten.

In einer offenen Dokumentationsform, dem "Critical Incidents-Verfahren" (kritische Vorfälle/typische Situationen) berichten die Trainer über Situationen, in denen es ihnen besonders gut gelungen ist, Lernziele zu vermitteln oder in denen dies nur schlecht bzw. gar nicht gelungen ist. Diese stichwortartige Sammlung dient als Grundlage der Überprüfung und Modifizierung der folgenden Trainings.

Mit Hilfe wissenschaftlicher Fragebögen und Tests ermitteln die Trainer zu Beginn und gegen Ende des Kurses die individuelle Grundhaltung der Teilnehmer zum Thema Gewalt, Aggression und eigener Straftat, um so Rückschlüsse auf Verhaltensänderungen bei den Teilnehmern ziehen zu können.

Durch anonyme Fragebögen haben die Teilnehmer die Möglichkeit an der Evaluation des Trainings mitzuwirken, indem sie Trainerverhalten, Trainingsverlauf sowie Inhalte und Lernerfolge bewerten.

 

7. Finanzierung

Das AGT finanziert sich über Zuweisungen von Geldbußen der Gerichte. Die Abwicklung erfolgt über den Verein Bewährungshilfe Koblenz e.V.Die Teilnahme am AGT ist für die Teilnehmer grundsätzlich kostenfrei.Bei Bedarf kann ein Kostenbeitrag erhoben werden.

 

 

 

 

 

 

Teamer: Lambert Eis, Ute Jung-Wagner, Ulrike Meyburg, Peter Raithel, Günter Stendebach

 

 

 

 

 

 

 

Bankverbindung: Verein Bewährungshilfe Koblenz e.V. Kto.-Nr. 230 755 Sparkasse Koblenz (BLZ 570 501 20) Verwendungszweck: AGT

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