Konzeption

1. Einleitung

Die Beschäftigung mit den finanziellen Verhältnissen ihrer Klientel ist bereits ein fester Bestandteil der Bewährungshilfe. Verschuldung gehört schon längst zur gesellschaftlichen Normalität. Es wäre vielmehr sehr blauäugig am Ziel eines schuldenfreien Lebens festzuhalten. Bereits mittelfristige Konsumgüter sind für Bezieher unterer und mittlerer Einkommensquellen nur noch durch Finanzierung möglich. Es ist normal, geradezu schick geworden in der "Kreide" zu stehen. Es werden immer mehr Dienstleistungen im Zuge des bargeldlosen Zahlungsverkehrs abgewickelt. Oft sind die Preise nur noch verschlüsselt ermittelbar. Einige Anbieter setzen in breit angelegten Werbekampagnen auf die Unwissenheit, Bequemlichkeit und Kompensationsbedürfnisse der Verbraucher. Im bunten Markt der Telekommunikation tritt dies besonders deutlich zutage. So ist es dringlicher denn je, dem Probanden Einblick in den Finanzdienstleitungssektor zu ermöglichen, ihn zu informieren über Preise, Verhandlungsmöglichkeiten, Tücken und Fallen.

Ansteigende Konsumbedürfnisse und Unterbeschäftigung sind die besten Voraussetzungen dafür, daß ein heute bereits komplett entschuldeter Proband in naher Zukunft wiederum von der Schuldenschraube heimgesucht wird. Unkenntnis und nicht adäquate Verhaltensmuster würden dafür sorgen, daß die Schraube der Verschuldung um so fester greifen kann. Alleine dieser Umstand dürfte ein ausreichender Grund sein, unseren Probanden nicht die Verantwortung für die Regelung ihrer finanzieller Angelegenheiten zu nehmen.

 

Unter Berücksichtigung des sich rapide verändernden Finanzdienstleistungssektor wird der Aspekt der Schuldnerinformation und Aufklärungsarbeit immer wichtiger. Mit unserem neuen Angebot des Seminars Kreidezeit wollen wir genau diesem Bereich der Informations- und Aufklärungsarbeit für Schuldner abdecken. Es soll nicht die bereits vorhandenen Angebote der Schuldenregulierung und Schuldnerberatung ersetzen. Nach wie vor wird der Schuldenregulierer bei gegebenen Voraussetzungen Schuldenregulierung durchführen; nach wie vor wird der jeweilige Bewährungshelfer Schuldnerberatung, also Beratung zur Entstehungsgeschichte und Vermeidungsmöglichkeiten der Überschuldungssituation innerhalb der Einzelfallarbeit anbieten. Die Zuammenarbeit, so ist unsere Vermutung, wird mit einem informierteren Probanden wirkungsvoller gestaltet werden können.

 

 

Das VITA Modell

V=Verantwortung / I=Information / T=Training / A=Autonomie

 

2. Zielsetzung

Mit unserem Angebot Kreidezeit wollen wir Probanden der Bewährungshilfe

1. Die Verantwortung für ihre finanziellen Belange belassen und einen Beitrag dazu leisten, sie wieder zur verantwortungsvollen Planung ihres Haushalts zurückzuführen.

2. Informationen über Finanzfragen geben und motivierend auf sie einwirken, die "Kreidezeit" aktiv anzugehen, durchzustehen, bzw. zu bewältigen.

3. Training im Umgang mit schwierigen finanziellen Angelegenheiten anbieten.

4. Einen Ausgleich ermöglichen, also mit ihnen ein Schuldenregulierungsverfahren durchführen und abschließen. Autonomie gilt uns hierbei als Leitgedanke.

 

2.1. Verantwortung

Die zwischenzeitlich langjährige Praxis der Schuldnerberatung hat gezeigt, daß nur ein zur Veränderung bereiter Schuldner eine erfolgreiche Schuldnerberatung/-regulierung bestehen kann. Notwendig ist in diesem Zusammenhang die Übernahme von Verantwortung in verschiedenen Bereichen:

- Der Proband übernimmt die Verantwortung, sich mit der Entstehungsgeschichte seiner Schulden auseinandersetzen. Der Proband behält Verantwortung im Prozeß der Schuldnerberatung und Schuldenregulierung. Die gesamte Beratung ist eingebunden in den Lebensplan des Probanden.

- Der Proband übernimmt Verantwortung für sich und seine Familie, das beinhaltet ebenfalls eine Übernahme von Verantwortung für seine Straftaten und die daraus resultierenden Schäden.

- Der Proband übernimmt die Verantwortung für eine Veränderungsbereitschaft bezüglich seines alten Konsumverhaltens.

 

2.2. Information und Motivation

Dieser Bereich wird vorwiegend vom Gericht bestellten Bewährungshelfer abgedeckt. Er ist derjenige, der zunächst nicht motivierten Probanden ihre Lebenssituation wiederspiegelt, Risiken von Überschuldungssituationen aufführt und somit Motivationsarbeit leistet.

Der Bewährungshelfer bedient sich dabei des methodischen Mittels der Einzelfallberatung. Durch die enge Anbindung an den Probanden ist auch die Voraussetzung gegeben, den Probanden auf der Beziehungsebene zu erreichen.

Er klärt mit dem Probanden gemeinsam ab, ob die Voraussetzungen für eine Schuldenregulierung /-beratung vorliegen, bzw. ob der Proband bereit ist, die Voraussetzungen zu erfüllen. Der Bewährungshelfer berät den Probanden zur Entstehungsgeschichte der Schulden. Er verdeutlicht die Zusammenhänge zwischen Schulden und Straftat und bespricht mit dem Probanden im Anschluß an die Schuldensanierung dessen Zukunftsplanung (z.B. auch in beruflicher Hinsicht). Er gibt dem Probanden gezielte, auf seine persönliche Lebenssituation bezogene Informationen weiter (Möglichkeiten der Einkommenserhöhung, gesetzliche Ansprüche, Versicherungswesen und anderes mehr).

 

2.3. Training

Diesbezüglich wurde ein Seminar institutionalisiert. Es handelt sich hierbei um ein Angebot im Bereich der Gruppenarbeit.

Übliche und bewährte Elemente der sozialpädagogischen Gruppenarbeit, sollen einfließen. Jeder Teilnehmer erhält eine Dokumentation in Form einer Seminarmappe.

Diese Seminarreihe dient dazu, dem Probanden allgemeine Informationen zu vermitteln. Von dieser Seminarreihe versprechen wir uns für den Bewährungshelfer:

- Arbeitsentlastung durch Informationsbündelung

- Motivation wird überprüfbar

- Möglichkeiten der Motivationsförderung (Gruppeneffekte, Solidarität) werden ausgeschöpft

 

V-I-T-A Modell:

Verantwortung

Die Seminarteilnehmer setzen sich im Seminar aktiv mit der finanziellen Situation und dem Konsumverhalten einer Beispielfamilie auseinander. Sie lernen hierbei verschiedene Aspekte des Finanzdienstleistungssektors kennen. Desweiteren wird der schleichende Übergang von Verschuldung zur Überschuldung deutlich. Zusammenhänge zu ihrer eigenen Situation können hergestellt werden. Erfahrungsaustausch, Impulse, sowie Konfrontation aus der Gruppe fördern eine aktive Auseinandersetzung. Der Gefahr von Abgabe von Verantwortung an den schuldenregulierenden Bewährungshelfer wird entgegengewirkt. Er übernimmt eigene Verantwortung.

 

Information

Die Teilnehmer erhalten grundlegende Auskünfte und erfahren damit eine Wissenserweiterung zu folgenden Themen:

- Kosten und Nebenkosten von Krediten

- Das außergerichtliche und gerichtliche Mahnverfahren

- Das Vollstreckungsverfahren

- Voraussetzungen für eine Schuldenregulierung bei der Bewährungshilfe

 

Training

Die Teilnehmer üben:

- Das Erstellen von Haushaltsplänen

- Die Formulierung von Ratenzahlungs-/Stundungsgesuchen

- Argumentation gegenüber Gläubigern

 

Autonomie

Die Teilnehmer erhalten grundlegende Informationen über örtliche Beratungstellen und Verbraucherorganisationen, so daß sie auch unabhängig vom Bewährungshelfer tätig werden können.

 

2.4. Ausgleich und Autonomie

Die eigentliche Schuldenregulierung wird von einem Kollegen der Dienststelle durchgeführt, der seinen Arbeitsschwerpunkt hierauf gesetzt hat. Wichtig ist, daß er nach wie vor Bewährungshelfer bleibt, um somit den Anschluß an die Lebenssituation von Probanden nicht zu verlieren

Die arbeitsteilige Vorgehensweise bedeutet für den Bewährungshelfer eine Entlastung. So hat der nicht schuldenregulierende Bewährungshelfer wiederum Freiräume, in seiner Arbeit andere Schwerpunkte zu setzen.

Der Proband erhält dadurch ein fachkundiges Angebot zur Schuldenregulierung. Auch ist eine gewisse Gleichbehandlung unter den Probanden verschiedener Bewährungshelfer gegeben.

 

3. Zielgruppe

- Probanden der Bewährungshilfe, die Verantwortung für ihre finanziellen Belange übernehmen wollen, sich informieren und trainieren wollen, um ständig mit ihrer finanziellen Lage zufriedenstellend klarzukommen.

- Probanden der Bewährungshilfe, die über die Bewährungshilfe eine Schuldenregulierung in Anspruch nehmen. Für diesen Personenkreis ist die Teilnahme am Seminar Kreidezeit verpflichtend.

 

4. Verfahrensweise

Der Bewährungshelfer bespricht mit dem Probanden dessen finanziellen Situation. Stellen sich finanzielle Schwierigkeiten heraus, werden diese mit dem Probanden thematisiert. Ist der Proband erkennbar zu einer Veränderung bereit, so werden die Voraussetzungen für eine Schuldenregulierung besprochen.

In diesem Prozeß der Schuldnerberatung gehören folgende Bereiche:

- Aufarbeitung der Entstehungsgeschichte seiner Schulden

- Beratung über den Zusammenhang zwischen der Lebenssituation und der finanziellen Probleme

- Erläuterung über den Ablauf einer Schuldenregulierung

- Abklärung zur verpflichtenden Teilnahme am Seminar Kreidezeit

Nach erfolgreicher Teilnahme am Seminar wird das Schuldenregulierungsverfahren eingeleitet. Der Proband hat zu diesem Zeitpunkt wesentliche Kenntnisse über das Verfahren gewinnen können, er hat zudem seine Unterlagen (Haushaltsplan, Schuldenliste, etc.) vorbereitet, sowie erste Ansparungen auf das Dienstkonto geleistet.

Nun beginnt die Tätigkeit des schuldenregulierenden Bewährungshelfers. Im Vorfeld findet ein 3er Gespräch zwischen Proband, bestellter Bewährungshelfer und schuldenregulierenden Bewährungshelfer statt. In diesem Gespräch wird geklärt, daß die zuständigen Bewährungshelfer sich bei Anzeichen der Gefährdung der Regulierung austauschen dürfen. Der Proband wird davon in Kenntnis gesetzt. Sind die Schwierigkeiten nicht durch Rücksprache mit einem Bewährungshelfer behebbar, wird wieder ein dreier Gespräch anberaumt. Der Informationsfluß zwischen Seminarleitern und dem jeweiligen bestellten Bewährungshelfers beschränkt sich auf die Teilnahme, unvollständige Teilnahme und auf die Mitteilung, die ein Ausschluß des Probanden nötig machen (bei Verstoß gegen die Gruppenregeln).

Zum Abschluß der Schuldnerberatung und Schuldenregulierung findet ein Abschlußgespräch statt, an dem Proband, bestellter Bewährungshelfer und schuldenregulierender Bewährungshelfer teilnehmen. Die finanzielle Situation wird im Rahmen der Einzelfallhilfe vom bestellten Bewährungshelfer auch nach Abschluß des eigentlichen Regulierungsverfahrens thematisiert.

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