Interview mit Lutz

nach seiner 3.Wanderung auf dem Jakobsweg

 

 

Was sind Deine Erfahrungen der Wanderung auf dem Jakobsweg?

Seit 3 Jahren lauf ich mit auf dem Jakobsweg. Das erste Mal war es eher ein schöner billiger Urlaub. Der Jakobsweg hat mir ganz gut gefallen. Da ich in der Archäologie arbeite, hat es ganz gut zu meinen Interessen gepaßt. Die ersten 1 bis 2 Jahre waren auch super Leute dabei.

Mich hat insbesondere die Kombination Archäologie und Mittelalter angesprochen. Was mich am Anfang interessiert hat, waren keltische und lateinische Sachen. So auch Gallien, wo Asterix und Obelix spielt. Man läuft durch die Gascogne oder durch die Auvergne durch. Das war gut. Und mit dem Laufen kam eigentlich ein bißchen eher das Gefühl für den Weg auf. Das war am Anfang noch nicht so da. Bei mir war es so, daß ich es das erste mal einfach so mitgemacht habe und dann kamen hinterher erst so die Gedanken darüber.

 

Was hast Du für Gedanken gehabt?

Das ich halt in den 6 oder 8 Jahren, wo ich drogenabhängig war, einige Leute z.B. verarscht oder irgendwelche Schulden auf mein Gewissen geladen habe. Das ist für mich irgendwie eine Rechtfertigung, mich auf den Weg bis nach Santiago zu quälen, um das vielleicht in meinem Gewissen ein bißchen loszuwerden.

 

Was sind für Dich in diesem Zusammenhang Qualen?

Was heißt Qualen. Aber es ist schon nicht einfach, wie dieses Jahr über die Pyrenäen zu laufen. Die Füße und die Beine tun weh und abends hat man keine Lust mehr zu kochen oder abzuwaschen aber man macht es dann trotzdem. Es ist nicht so leicht, als wenn man sich zwei Wochen zu Hause vor dem Fernseher auf die Couch legt oder sich am `Ballermann 6´ die Rübe zuhaut.

 

Was hat es für Dich bedeutet, als Wanderer zu Fuß unterwegs zu sein?

Ich bin ein Mensch, der lieber was macht oder in der Natur ist als irgendwo in irgendwelchen Metropolen. Durch meine Lehre im Gartenbau als Gartenbautechniker verbinden sich viele Sachen wie z. B. die Tierwelt oder Vegetation, die mich interessieren. Dieses Jahr habe ich in Romrod 2 Jakobsmuscheln gefunden. Es gab sogar einen Zeitungsbericht darüber.

 

Was war das für ein Gefühl, auf einmal eine Jakobsmuschel zu finden?

Ich habe die Muschel auf Anhieb erkannt. Ich habe das Ding ausgegraben und habe sofort gewußt, was es für eine Muschel war und wo ich sie hin zu stecken habe. Gerade weil sie oben zwei Löcher drin hatte, um sie sich um den Hals hängen zu können. Die erste war eine echte aus dem Atlantik. Ich habe jetzt Interessantes darüber in einem Buch gelesen. Der Brauch dieser Jakobsmuschel stammt aus der Zeit der Kreuzzüge. Die ersten Jakobsmuscheln, die getragen wurden, stammen aus dem Roten oder Schwarzen Meer. Es ist eigentlich eine andere Sorte von Muschel. Dies kann man biologisch nachweisen, wo die herkommen. Wir sind jetzt am herauskriegen, ob diese Muschel, die wir in Romrod gefunden haben, vom Atlantik oder eher aus dem Nahen Osten kommt. Daher kommt der Brauch, als Beweis eine Jakobsmuschel mitzubringen.

 

Willst Du einmal eine eigene Muschel bekommen?

Ja. Ich habe schon vor, nach Santiago zu laufen. Wenn es mit der Bewährungshilfe möglich ist, gerne. Aber wenn nicht, werde ich bestimmt 1 bis 2 Jahre alleine touren.

 

Was ist das für eine Faszination, daß man bis zum Ende durchhalten möchte? Das man das Ziel des Pilgerweges

in Santiago de Compostella erreichen möchte?

Es ist ein Zeichen, daß es einem Spaß macht oder daß man was dran findet. Sachen, die mir keinen Spaß machen, mache ich nicht bis zum Ende.

 

Spaß, bei dem dennoch Qualen dabei sind?

Ja klar sind Qualen dabei. Ein bißchen Herausforderung. Den eigenen Schweinehund herunter zu kriegen.

 

Santiago de Compostella ist für viele Pilger heute noch ein heiliger Ort. Aber andere Pilgergründe treten mehr und mehr in den Vordergrund.

Religiös bin ich im gewissen Sinne schon. Ich glaube schon, daß, wenn man stirbt, daß dann das Licht ausgeht und es ist nichts mehr. Aber so wie die katholische Kirche das predigt ist nicht so mein Ding. Wahrscheinlich hat auch jeder seine eigenen religiösen Zwischenwelten.

 

Was für eine Bedeutung hat für Dich das Ziel Santiago?

Die absolute religiöse Bedeutung hat es für mich nicht. Ich mache es eher aus geschichtlichem Interesse und aus persönlichem Anreiz als aus tiefer Gläubigkeit.

 

Also ist für dich das Unternehmen `Jakobsweg´ noch nicht beendet?

Nein. Auch wenn nächstes Jahr keiner mitläuft. Vielleicht werde ich dann mal ein Jahr aussetzen. Das mag sein. Aber vor habe ich das schon, dort anzukommen. Am besten im Atlantik die eigene Jakobsmuschel finden.

 

Du bist jetzt schon das dritte Jahr bei der Jakobsweg-Wanderung der Marburger Bewährungshilfe dabei. Im Vergleich zu einem Einzelunternehmen befindest Du Dich hierbei in einer Gruppe, auf die Du Dich immer wieder neu einstellen mußt.

Das ist richtig. Das ist auch eine Herausforderung. Sich mit Leuten, die man kaum oder überhaupt nicht kennt, 14 Tage auseinanderzusetzen und zu gucken, was dabei herauskommt. Man hat immer die Möglichkeit, sich tagsüber, z. B. wenn man läuft, zurückfallen zu lassen oder ein bißchen schneller zu gehen, um mal seine Ruhe zu haben. Es ist ja nicht so, daß man sich 24 Stunden auf der Pelle hängt. Das mache ich auch manchmal, wenn ich 2 bis 3 Stunden alleine sein will. Da sagt ja auch keiner was.

 

Was hast Du für Erfahrungen in der Gruppe gemacht ?

Es gibt einige Leute, die die ganze Gruppe ziemlich runter ziehen können. Da muß man ziemlich aufpassen und gegen steuern. Die, die gegen steuern, sind wahrscheinlich auch die Leute, die ein bißchen länger dabei sind. Der Zusammenhalt ist wichtig. Wenn man jedes Jahr neue Leute hat und die Strecken werden immer weiter und länger und jetzt mal kurz 5 Tage nach Spanien zu fahren, um dort zu wandern, das ist fast schon unmöglich. Dann ist die Fahrt länger als die Strecke, die man läuft. Aber bis jetzt hat alles ganz gut geklappt. Der sogenannte Gruppenkoller kommt immer irgendwann. Wenn man öfters dabei ist, weiß man schon, wann es das erste mal kracht. Dann macht man mal ein paar diplomatische Andeutungen und dann geht es meistens.

Abends wird dann noch was von dir verlangt, z. B. Tagebuch schreiben oder irgendwie kochen. Dann merkt man schon, wenn manche Leute ziemlich kurz angebunden sind, daß die sich aneinander reiben und sich manchmal etwas hoch schaukeln. Das ist dann schon nervig. Aber das passiert einem an der Arbeit und bei einer Freundschaft, daß passiert auch im Urlaub.

 

In der Gruppe hat es die ganze Tour über trotz einiger Spannungen nie so richtig gekracht. Wie wurde Deiner Meinung nach mit der Gruppe und mit Konflikten in der Gruppe umgegangen?

Das ist meistens so. Das mag auch mit dem Ausland zusammenhängen. Man ist ja da mit fünf Deutschen in Frankreich und der einzelne versteht kein Französisch, jedenfalls die meisten nicht und da ist schon ein gewisser Zwang, zusammenzuhalten. Man hat ja auch keine Ausweichmöglichkeiten. Wenn der Bus wegfährt und einer hat keine Lust, dann steht er da. Das ist auch wahrscheinlich ein Grund, warum die Leute sich zusammenreißen, weil bei jedem dann so ein bißchen die Vernunft überwiegt. Man muß sich ja eigentlich zusammenreißen. Man kann nicht sagen "ich habe jetzt keine Lust, ich geh nach Hause. Ich setz mich in den Zug nach Stuttgart, in einer Stunde bin ich zu Hause."

 

Was sind Deine Erfolge, die Du mit Deiner Teilnahme an der Jakobsweg-Wanderung verbindest?

Wenn ich mir die Strecke angucke, die ich in den Jahren gelaufen bin, ist schon eine Eigenzufriedenheit vorhanden. Allein die Strecke und wenn man dann auf die Landkarte guckt, "da war ich, da war ich". Eine innere Zufriedenheit, dies gemacht zu haben und nicht nur in den Tag hineingelebt zu haben. Es ist mal was anderes.

 

Was ist Deine Meinung über die Jakobsweg-Wanderung als Angebot der Bewährungshilfe?

Das finde ich sehr gut. Kann ich nur begrüßen und empfehlen, daß das weiter läuft. So hat der Bewährungshelfer auch mal die Chance, die Leute ein bißchen näher kennenzulernen. Gerade in so Situationen, wenn es mal kriselt, wo dann das wahre `Ich´ eines Menschen zu Tage kommt. Ich glaube, für die Bewährungshilfe an sich ist dieses besser, Leute einzuschätzen, als wenn man sie nur einmal im Monat für eine 1/4-Stunde sieht. Mir hat es auf jeden Fall auch etwas gebracht. Das man ein bißchen ins Nachdenken kommt und sieht, daß es noch andere Sachen gibt außer frei zu sein oder einen Bruch zu machen.

(Das Interview wurde von Kai Großer geführt.)



Zurück zur Übersicht