Birgit Schrankel
Bewährungshelferin beim Landgericht Limburg
1.
Einleitung
Der gesetzliche Auftrag des § 56 StGB – Strafaussetzung zur Bewährung – der die Aufsicht und Leitung und Betreuung/Hilfestellung des Probanden umfasst, wird in Form von Einzelfallhilfe, sozialer Gruppenarbeit und Gemeinwesenarbeit umgesetzt.
Bei meiner Gruppenarbeit lehne ich mich an den Entwurf der „Konzeption sozialer Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe Hessen“, die die Fachgruppe in Gießen am 24.10.2000 erarbeitet hat, an.
2.
Entwicklung der Gruppenarbeit in der Dienststelle
Limburg
Die Umsetzung der Gruppenarbeit in der Dienststelle Limburg entstand aus Anregungen der Supervisionsgruppe „Supervision zur Gruppenarbeit im Forum Ahlberg“ unter der Leitung von Herrn Lippenmeier, an der 2 KollegInnen teilnahmen.
Im Jahr 1994 starteten meine Kollegin, Frau Hahn und ich die Gruppenarbeit in Form eines Frauenfrühstückes. Nach weiteren Treffen wurden diese Gruppe durch ein Wochenende im Selbstversorgerhaus eines Frauenlandheimes abgeschlossen.
Motiviert durch den Lehrgang „Erlebnisorientierte Gruppenarbeit“ vom HMdJuE mit begleitender Supervision und Erfahrungsaustausch entwickelten sich weitere Gruppenaktivitäten. Zusammen mit meinem Kollegen, Herrn Weymann, organisierten wir eine Gruppe für junge Erwachsene (verurteilt nach JGG). In einem Block von 10 Abenden wurden Gespräche mit dem Jugendkoordinator der Polizei, dem Jugendrichter und einem Drogenberater geführt. Durch jeweils eine Vor- und Nachbereitungssitzung wurden die Themen vertieft.
Einen weiteren Block veranstalteten meine KollegInnen Frau Hahn und Herrn Weymann. Diese Jugendlichen mit Drogenproblematik waren neu unterstellt worden. Erstmals gestaltete sich der Beginn der Betreuungsarbeit direkt in Form von Gruppenarbeit. In Absprache mit dem Jugendrichter konnten die Teilnehmer eine Reduzierung ihrer Stunden zur Ableistung von gemeinnütziger Arbeit erlangen. Auf diesem Weg wurde eine Anerkennung der Auseinandersetzung und Verbindlichkeit erreicht.
Zu meinen Zuständigkeitsbereich gehört auch die Betreuung der aus dem Maßregelvollzug Hadamar entlassenen Klienten. 1997 nutzte ich die Gelegenheit, diese Probanden in Form von Gruppenarbeit zu betreuen, da sich durch die forensische Ambulanz des Sozialen Zentrums für Psychiatrie (früher: PKH) viele Entlassene aus dem Maßregelvollzug in unserer Gegend angesiedelt haben.
Im April 97 gestaltete ich einen Tag um die
Straffälligen in die Gruppenarbeit einzuführen. Es wurden vorher 9 Probanden bei
ihren Vorsprachen im Büro motiviert. Davon fanden sich 4 Teilnehmer ein.
Nach einer ausführlichen Vorstellungsrunde
und dem gemeinsam zubereiteten Mittagessen wurde nachmittags mittels etlicher
Fotos und Bilder über Freizeitverhalten und mögliche Inhalte der Gruppenarbeit
gesprochen. Daraus entwickelten sich einige Aktivitäten. Einer der Teilnehmer
berichtete von den Gruppenerlebnissen im Maßregelvollzug und wie er es nannte
“Zwangszelten“.
3.
Inhalt und Ziele
Zu Beginn meiner Erfahrungen mit Gruppenarbeit waren mir handlungsorientierte Inhalte und Ansätze wichtig. Wir lernten uns nicht nur in Gesprächsgruppen kennen, sondern es wurde z.B. auch gegrillt, gewandert und ein Ausflug gemacht, teilweise mit Familienangehörigen. Dabei kristallisierten sich bestimmte Themen heraus. Diese wurden bei dem nächsten Treffen vertieft. Es entwickelte sich eine eigene Struktur.
Zunächst schilderten alle reihum ihre
aktuelle Lebenssituation und die Veränderungen vom letzten Treffen. Dann setzte
die Gruppe Schwerpunkte, z. B. Erfahrungen beim Arbeitsamt, Möglichkeiten einer
Schulung, Maßnahmen im Reha-Bereich, Schuldnerberatung.
Die einzelnen Teilnehmer erklärten
ausführlich ihre Erfahrungen und gaben den anderen Tipps.
Daran schloss sich ein Besuch der örtlichen Gesellschaft für Ausbildung und Beschäftigung (die zu 51 % dem Kreis Limburg/Weilburg gehört) an. Der stellvertretende Geschäftsführer stellte die einzelnen Bereiche und Förderlehrgänge vor. Fragen der Teilnehmer wurden ausführlich besprochen. 2 Gruppenmitglieder konnten einen Personalbogen ausfüllen. Das örtliche Sozialamt ermöglichte eine Ausbildung zum Teilezurichter für einen Teilnehmer. Die Ausbildung wurde aber aufgrund eines Drogenrückfalles des Probanden nicht aufgenommen.
Immer wieder wurde das Thema “Führerschein
und MPU“ von den Gruppenmitgliedern eingebracht. Dazu wurde in einem Jahr der
Leiter der Führerscheinstelle eingeladen, um insbesondere über den neuen
Führerschein und die gängige Praxis zu berichten.
Einzelne Mitglieder erzählten von ihren teilweisen
negativen Ergebnissen der MPU. Dabei ergab sich oft nochmals eine Konfrontation
mit der Straftat. Der Einzelne musste der Gruppe erklären, warum er der Meinung
ist, dass diese Tat heute nicht mehr passieren wird und Gründe nennen.
Einmal stellte ein Teilnehmer sein positives
Gutachten der Gruppe vor und diente somit als gelungenes Beispiel. So könnte
eine Übertragung stattfinden, „einer von uns hat es geschafft“.
Soziale Gruppenarbeit hat das Ziel, Probanden
die Möglichkeit zu geben voneinander zu lernen und sich gegenseitig
Hilfestellung zu geben. Die Erfahrungen der anderen sollen dabei helfen, die
eigene soziale Situation zu erkennen und andere, neue Lebenswege
auszuprobieren. (Siehe Konzeption). Die Gruppe ist daher eine Plattform die
Lebensgeschichte darzustellen, z. B. Vorstellung bei der
Beschäftigungsgesellschaft und beinhaltet eine erneute Auseinandersetzung mit
der Straftat.
Mir ist es wichtig, dass die Gruppe in
„realen Situationen“ erlebt, dass es auch Freizeitformen ohne Alkohol gibt, z.
B. Ausflüge oder Grillen ohne Bier. Ziel ist es, die üblichen Verhaltensmuster
aufzulösen.
Die freiwillige Teilnahme der Probanden an
der Gruppenarbeit ist mir bis heute wichtig. Die Teilnehmer sollen merken, dass
ihnen die Treffen etwas bringen, dass sie durch das aktive Gestalten des
Gruppengeschehens etwas positives für sich mitnehmen können. In der Atmosphäre
des Vertrauens und Verständnisse, der Wertschätzung, mit vereinbarten Regeln,
können die Probanden ihre Ressourcen kennen und schätzen lernen.
Ein Teilnehmer hat durch eine Auflage in
einer Berufungsverhandlung (wozu er sich vorher bereit erklärt hat) von April
97 bis Mai 2000 bei der Gruppenarbeit mitgemacht und sich so zum Mitorganisator
und Co-Leiter entwickelt. Er ist erst durch Straferlass ausgeschieden.
In der Vergangenheit haben oft Probanden aus
dem Maßregelvollzug (§ 64 StGB) mit Führungsaufsicht an der Gruppenarbeit in
Limburg teilgenommen. Alle Gruppenmitglieder haben Erfahrungen mit dem
Strafvollzug und sind Personen mit einer Suchtstruktur, teilweise einhergehend
mit einer hohen Gewaltproblematik. Es handelt sich zum großen Teil um
Risikoprobanden. Viele Straftäter zeigten schon in ihrer Kindheit typische
Auffälligkeiten. Dies zeigt sich durch starke soziale Defizite. So ist eine
Integration in den Arbeitsprozess oftmals sehr schwierig. Eine sinnvolle
Freizeitgestaltung ist ihnen fremd. Die Beziehungen gestalten sich ebenfalls
oftmals problematisch, da Problemlösungen meist durch die Anwendung von Gewalt
ersetzt werden. Aufgrund dieser starken Defizite ist eine sehr intensive
Betreuung notwendig.
Durch die Gruppenarbeit kann ein solcher
Rahmen geschaffen werden.
Sie lässt kleinste Teilschritte zu. Nach
Rückfällen und einer evtl. notwendigen
Entgiftung können die Probanden jederzeit wieder teilnehmen. Sie werden ständig
neu ermutigt zu kommen und werbend mit eingebunden. Diese Form der
Gruppenarbeit wirkt sich somit motivierend auf alle Beteiligten aus.
1997 haben an 9 Veranstaltungen 39 Probanden
teilgenommen. Da es sich um eine offene Gruppe handelt, können jederzeit neue
Probanden dazu kommen. Es hat sich im Maßregelvollzug „rumgesprochen“, dass es
bei der Bewährungshilfe Limburg eine Gruppe gibt, die sich regelmäßig trifft.
Eigentlich wollte ich im Sommer 1998 nach
einer Kanutour auf der Lahn, die zusammen mit Probanden und Kollegen aus der
Dienststelle Bensheim stattfand, die Gruppenarbeit beenden. Jedoch äußerten die
Probanden den Wunsch, sich regelmäßig weiterhin in einer Gruppe zu treffen. So
nahmen 1999 bei 17 Treffen 87 Probanden teil.
Im Jahre 2000 hatte die Gruppenarbeit
verstärkt themenorientierte Schwerpunkte zum Inhalt. Zusammen mit einem
Bensheimer Kollegen organisierten wir ein Seminar zum Thema „Persönliche Ziele
und Glaubenssätze“. Dafür interessierten sich 5 Personen aus Limburg.
Bei den Institutionen, wie der
Beschäftigungsgesellschaft, stieß die Gruppe auf eine positive Resonanz. Zu uns
kamen Referenten in die Dienststelle.
Die aufsichtsführenden Gerichte erhielten
Kenntnis von der Gruppenarbeit und
unterstützten die Aktivitäten durch ihre Genehmigung. In der Limburger
Dienststelle erfahre ich Rückhalt und Unterstützung von meinen Kollegen. In der
Supervision konnte ich meine Erfahrungen reflektieren. Wünschenswert wäre es,
wenn ich die Leitung der Gruppe zusammen mit einem Co-Leiter gestalten könnte
und handlungsorientierte Ansätze stärker mit einbeziehen könnte.
Die Probanden wollen Gruppenarbeit und sehen
die Gruppe als Forum, über sich und ihre Probleme zu reden. So sagte ein Teilnehmer,
„ich habe Bewährung und muss sowieso 1 mal im Monat kommen, da kann ich auch
zur Gruppe gehen, die Spaß macht. Ich konnte bisher immer etwas für mich
herausziehen, die Gruppe hat mir etwas gebracht.“
Die Dynamik des Gruppenprozesses ist für mich
als Bewährungshelferin interessant zu
beobachten, wie einzelne sich einbringen, was und wie sie von sich
erzählen. So erhielt ein Proband sofort
bei seiner 1. Teilnahme die Rückmeldung, dass er zuviel und zu lange redet und
„es nicht auf des Punkt bringt „. Dieser Teilnehmer übte konstruktiv Kritik ,
die von dem Betroffenen angenommen wurde mit der Bemerkung „dies
ist genau mein Problem , an dem ich was
ändern muß“.. Die Gruppe ist ein Lernfeld für soziale Verhaltensweisen.
Ich halte für bedeutsam, dass die Probanden
sich mit den anderen Gruppenmitgliedern
über ihre Strafe und Verurteilung auseinander setzen können. Beispielsweise
erzählte ein eher ruhiger, zurückhaltender Mann, er „ habe Mist gebaut“ und
zuviel getrunken und sei wegen schwerer Brandstiftung zu 9 Jahren verurteilt worden. Auf Rückfrage
eines Teilnehmers schilderte er seine Probleme bei der Wende und dem Umbruch in
der DDR. Nach Anrechnung der U-Haft sei er nach ½ Strafe aus dem
Maßregelvollzug entlassen worden und habe sich
jetzt ein neues Leben aufgebaut.
Zu erleben, ich werde nicht gemieden und
verachtet, sondern sitze mit anderen mit ähnlichen Problemen im „selben Boot“,
war und ist für diese Gruppenmitglieder eine wichtige, bestärkende Erfahrung.
Meine Erfahrungen zeigen ,dass die
Gruppenmitglieder untereinander viel konfrontativer sind und eher annehmen
können, was von einem Teilnehmer gesagt wird. Auffallend ist , dass sie sich
dann nicht so verletzt fühlen. Aussagen von anderen Probanden werden eher als
Möglichkeit für sich angenommen und umgesetzt.
So stellte die Gruppe z.B. nach 3 Stunden
intensivem Austausch fest, wie lebhaft das Gespräch war, das interessante
Aspekte erörtert wurden und einer mit dem Hinweis vom Anderen, beispielsweise
durch Urinkontrolle sein „Clean-Sein“ dem Richter nachzuweisen, was anfangen
kann.
§ 64 StGB, Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt, ist eine
angeordnete Maßnahme. Wir können durch die freiwilligen Teilnahme an der freizeit- und themenorientierten Gruppenarbeit straffällig gewordene Klienten erreichen und den Verurteilten somit helfend und beratend zur Seite stehen.