Freitag

21. Februar 2003

Marburger Neue Zeitung

Pilgertour: Straffällige schildern Jakobsweg aus:

Marburg (red). Viele Pilgerstraßen enden in Santiago de Compostela Dieser Routen, die den Namen des Heiligen Jakobus tragen, nimmt sich die Bewährungshilfe Marburg an: Sie schickt straffällig Gewordene auf verschiedene Etappen der Pilgerroute und lässt sie an dessen Ausschilderung arbeiten.               Seite 17

 

Bewährungshilfe erwandert mit Straffälligen den Jakobsweg

 

Alte Pilgerstraße als Tor zu „neuen Wegen“ im Leben

Von Nadja Schwarzwäller

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Marburg. „Das Ende der Welt‘, Santiago de Compostela in Nordspanien, war schon im Mittelalter das Ziel vieler Pilger. Die Routen durch ganz Europa, die dort münden, tragen den Namen des Heiligen Jakobus. Marburg war zu jener Zelt selbst Wallfahrtsstätte zu Ehren der Heiligen Elisabeth, aber auch Durchgangsort für Pilger, die weiter Richtung Süden reisten. Die Bewährungshilfe Marburg hat die Idee des Jakobwegs als Projekt aufgegriffen. Seit 1995 wandern straffällig Gewordene auf verschiedenen Etappen der Pilgerroute und arbeiten an deren Ausschilderung.

 

Die Hauptaufgabe von Bewährungshelfer Peter Reckling besteht darin, seine Schützlinge von der „schiefen Bahn“ zu holen und ihnen auf „neue Wege“ zu helfen. Im übertragenen Sinne tut Reckling dies mit Hilfen bei der Alltagsbewältigung, Arbeitsvermittlung, die Klärung von Finanzen, Gesprächen und vielen anderen Mitteln. Nun führt er seine Probanden auch in wörtlichem Sinne auf Neue Wege: Er erwandert mit ihnen den Jakobsweg. Dabei ging es ihm nicht um den ursprünglichen religiösen Hintergrund, sondern um Motivation und neue Impulse für die Menschen, die sprichwörtlich auf die schiefe Bahn geraten sind.

 

1995 war die erste Gruppe in Frankreich unterwegs - zehn Tage lang und nur mit dem Nötigsten ausgestattet: „Das war auch für mich etwas Neues“, sagt Peter Reckling. „Und es war beeindruckend.“

 

Wenn sich nach den ersten Hürden ein gewisser Automatismus beim Laufen einstelle, habe das etwas sehr Reduzierendes, erinnert sich Bewährungshelfer Reckling: „Da fängt man an, nachzudenken.“ Ein wichtiger Aspekt für die Teilnehmer sei, soziales Verhalten in der Gruppe zu erlernen, sich in Selbstständigkeit zu üben und aufeinander angewiesen zu sein. „Es müssen klare Regeln eingehalten werden“ - unter anderem der Verzicht auf Drogen und Alkohol. Außerdem sei der Stolz auf die Leistung, die man erbracht hat, ein positiver Anreiz. „Es ist ein sehr intensives Projekt“, sagt Peter Reckling.

 

 

Die Sache beschränkt sich aber nicht nur auf das Wandern. Die Teilnehmer kümmern sich auch um die Ausschilderung der Wege. Vom Zielort in Spanien ausgehend, gibt es verschiedenste Wegvarianten, die sich nach Norden immer mehr verzweigen. Die ersten Gruppen der Bewährungshilfe waren bis 1999 auf einer Route durch Frankreich unterwegs - 750 Kilometer in fünf Etappen. Dann gab Peter Reckling den Impuls, von zuhause loszulaufen, wie die Pilger es früher auch getan haben. „Das vermittelt auch die Bedeutung, alles konkret zurückzulassen.“

 

Also startete man nun in Marburg und folgte dem bestehenden Elisabeth-Pfad nach Altenberg, in der nächsten Etappe ging es über den Lahnhöhenweg von Wetzlar nach Lahnstein. Die Tour in diesem Jahr wird auf dem Europäischen Fernwanderweg durch den Hunsrück gehen. Dass diese Route auch als Jakobsweg ersichtlich wird, dafür sorgt das Projekt selbst. In gemeinnütziger Arbeit werden Wanderschilder erstellt und auf dem Weg

angebracht. Die Schilder tragen das Symbol der Jakobsmuschel, die früher als „Souvenir“ von der Pilgerreise mitgebracht wurde.

 

Bei Ausgrabungen am Schloss von Romrod wurden vor einiger Zeit solche Muscheln sogar in Gräbern ge­funden, erzählt Reckling. Hinweise auf die Jakobsverehrung und den Jakobsweg sind auch in Marburg heute noch sicht­bar. Eine Heiligenfigur findet sich ebenso in der Elisabeth-Kirche wie auch am Eingang des St. Jakob-Hospizes in Weidenhausen, das im Mittelalter außerhalb der Stadtgrenze lag und Pilgern Unterkunft bot.

 

Im Mittelalter war Marburg auch deshalb eine bedeutenden Station auf den Pilgerwegen, weil in der Stadt der Deutsche Orden ansässig war. Er bot den Pilgern, die auf Essen und medizinische Versorgung angewiesen waren, umfassende Hilfe. Damals wie heute verlangt der Jakobsweg „Einsatz und Anstrengung“, sagt Peter Reckling: „Und das wird in unserer Gesellschaft heute nur noch selten gefordert.“

 

 

Während ihrer Wanderung bringen die Teilnehmer Schilder an, um den Jakobsweg als mittelalterlichen Pilgerpfad wieder kenntlich zu machen.       (Foto: privat)

 

 

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