Pädagogischer Umgang mit gewaltbereiten und rechtsradikalen Jugendlichen und jungen Erwachsenen

Pädagogischer Umgang mit gewaltbereiten und rechtsradikalen Jugendlichen und jungen Erwachsenen

in der Bewährungshilfe

(Projekt: Erlebnisorientierte Gruppenarbeit)

Peter Reckling (Marburg, 1997)

 

 

Überblick

Das Hessische Justizministerium veranstaltete den Lehrgangs „Erlebnisorientierte Gruppenarbeit in der Straffälligenhilfe“, der vom Fortbildungsinstitut „Forum Ahlberg“ durchgeführt wurde. Acht Bewährungshelfer aus Hessen beschäftigten sich 2 Jahre in Theorie und  Praxis vorwiegend mit gewaltbereiten rechtsradikalen Jugendlichen und der Dynamik in Probandengruppen. Dr. Wolfram Schädler, Referatsleiter im Hessischen Justizministerium, erklärte anlässlich der Übergabe des Abschlusses des Lahrgangs: „Hessen ist mit dieser Fortbildung Vorreiter in Deutschland. Inzwischen gibt es auch in anderen Bundesländern solche Lehrgänge.“ Finanziert wurde der Lehrgang aus einem Sofortprogramm, welches nach der Welle rechtsradikaler Übergriffe in Solingen, Hoyerswerda und Rostock eingerichtet wurde.

Die Durchführung des Lehrgangs wurde ausgewertet und kann im Folgenden nachgelesen werden. Bitte klicken Sie die interessierenden Themen an.

 

 

1. Einleitung

Ausländerfeindliche Aktivitäten haben Anfang der 90er Jahre die deutsche Gesellschaft erschüttert. Die folgende Untersuchung beschäftigt sich mit der Entwicklung des Projektes erlebnisorientierte Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe. Der chronologische Ablauf wird in den verschiedenen Phasen beschrieben.

 

2. Theoretischer Bezugsrahmen und Ausgangsbedingungen für

     erlebnisorientierte  Gruppenarbeit  

Die Bewährungshilfe wird zunehmend mit straffälligen Jugendlichen arbeiten müssen, die wegen Gewalttaten und vereinzelt wegen rechtsradikal-motivierte Straftaten verurteilt wurden.

 

2.1 Jugend, Gewalt und Rechtsextremismus

2.1.1 Begriffsdefinition

2.1.2 Sozialpädagogische Konsequenz

2.1.3 Umsetzung in der Bewährungshilfe

 

2.2  Bewährungshilfe und Gruppenarbeit in Hessen

2.2.1 Bewährungshilfe: Rechtliche Stellung und kriminalpolitische Bedeutung

        

2.2.2 Präventionsrat und Arbeitstagungen des Hessischen Ministerium der Justiz

2.2.3. Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe

2.2.3.1 Freizeitaktivitäten

 

2.2.3.2 „Social Group Work“

 

2.2.3.3 Versuche institutioneller Verankerung

2.2.3.4 Gruppenarbeit in Hessen

 

 

 

2.3. Erlebnispädagogische Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe

2.3.1 Theoretische Grundannahmen

2.3.2 Bisherige Formen der Erlebnispädagogik in der Bewährungshilfe

2.3.3 Bedeutung der Erlebnispädagogik für die Bewährungshilfe

 

3. Projektbeschreibung

3.1 Methode der Untersuchung

3.1.1 Untersuchungsansatz

3.1.2 Teilnehmende Beobachtung

 

3.2 Projektverlauf

3.2.1 Überblick über die einzelnen Phasen

3.2.2 Kompetenzentwicklung der Bewährungshelfer

3.2.2.1 Erwartungen und Befürchtungen

3.2.2.2 „Vergesst alle Systeme“ - Einstieg

3.2.2.3 Umdenken notwendig

3.2.2.4 Exemplarische Biographie

3.2.2.5 Gruppenverläufe anhand TZI

 

3.2.2.6 Bestandsaufnahme und Planung der Probandengruppen

3.2.2.7 Lehrgangsanforderungen

 

3.2.2.8 Ergebnis der Phase: Kompetenzentwicklung

 

 

 

3.2.3 Gruppenbildung mit den Probanden vor Ort

3.2.3.1 Ausgangsbedingungen

3.2.3.2 Gruppenbildung in A.

3.2.3.3 Gruppenbildung in B.

3.2.3.4 Gruppenbildung in C.

 

3.2.3.5 Gruppenbildung an weiteren Orten

3.2.3.6 Ergebnis der Phase: „Gruppenbildung mit den Probanden“

 

3.2.4 Selbsterfahrung und Zwischenauswertung

3.2.4.1 Zwischenauswertung der Probandengruppen

 

3.2.4.1.1 Gruppenthema über Gewalt in A.

3.2.4.1.2 Die Schwierigkeit Probanden in C. zu mobilisieren

3.2.4.1.3 Zwischenergebnis der weiteren Probandengruppen

3.2.4.2 Selbsterfahrung durch „in die Fremde gehen“

 

3.2.4.3 Ergebnis der Phase: „Selbsterfahrung und Zwischenauswertung“

 

3.2.5 Eigenes Gruppenkonzept entwickeln

3.2.5.1 Themensammlung

3.2.5.2 Entwicklung des eigenen Gruppenkonzeptes

3.2.5.2.1 Von der gemeinsamen Gruppe zur eigenständigen Gruppenleitung

3.2.5.2.2 Nach Misserfolgen in der Gruppenbildung zur Erlebniswanderung

3.2.5.2.3 Übertragung von speziellen Lernprozessen auf die Gruppenarbeit

3.2.5.3 Gruppenabschluss

3.2.5.4 Ergebnis der Phase. „Eigenes Gruppenkonzept entwickeln“

 

 

 

3.3 Betreuung gewaltbereiter Jugendlicher mit der pädagogischen Methode

      der Gruppenarbeit

3.3.1 Vorbereitung auf den Umgang mit gewaltbereiten Probanden

3.3.2 Vorbereitung auf die Praktizierung von erlebnis-orientierter Gruppenarbeit

3.3.3 Fazit

 

 

3.4 Gruppenarbeit ist eine adäquate Methode der Bewährungshilfe

3.4.1 Grundüberlegungen

3.4.2 Äußerungen der beteiligten Probanden

3.4.3 Weitere Verankerung der Gruppenarbeit

 

4. Schlussbetrachtung und Perspektive

4.1 Verlauf des Projektes

4.1.1 Zusammenfassung der Ergebnisse der einzelnen Phasen

4.1.2 Phasenauswertung

4.2  Institutionalisierung von Gruppenarbeit in Hessen

 

 

 

5. Literaturliste

 

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2.1 Jugend, Gewalt und Rechtsradikalismus

 

2.1.1 Begriffsdefinition

 

Gewaltbereitschaft und Fremdenfeindlichkeit scheinen zu einem ernsten Problem in unserer Gesellschaft geworden zu sein. Mit Erschrecken und Betroffenheit nehmen wir die Gewalt und den Rechtsradikalismus in unserer Gesellschaft zur Kenntnis. Da wird von wachsender Gewalt an den Schulen, Sportveranstaltungen (besonders in Fußballstadien), kindlichen und jugendlichen Straßenbanden und besonders politisch motivierten Gewalttaten in den Massenmedien berichtet. Die gesellschaftlichen Bedingungen, in denen die Kinder und Jugendlichen heute aufwachsen, sind wegen  der hohen Jugendarbeitslosigkeit und des wachsenden Konkurrenzdruckes perspektivlos. Das wirkt sich in einer geringen Identifikation mit der Gesellschaft aus. Damit steigt die Bereitschaft zur Gewaltanwendung, da die Gesellschaft für Teile der Jugend nicht schützens-, sondern eher zerstörenswert scheint. Es ist  notwendig die sozialen Bedingungen zu berücksichtigten und dabei die gesellschaftlichen und strukturellen Bedingungen der Gewalt zu untersuchen und die Begriffe differenziert zu betrachten. KRAFELD (1992) weist darauf hin, daß „Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt rechter Jugendcliquen ... nicht ein und dasselbe (sind).“ Die Basis rassistischer Anschauungen ist die Annahme von der Ungleichwertigkeit von Menschen und Rassen. Diese Anschauungen wirken weit in die Mitte unserer Gesellschaft hinein. Es sind nicht die jugendlichen Gewalttäter, die diese Ansichten isoliert vertreten, sondern erwachsene Menschen, die  in fast allen etablierten Parteien Einfluß haben. Bei den gewalttätigen Ereignissen in Rostock u.a. Orten, waren es diese, die offen oder versteckt Beifall klatschten.

PILZ (1993) zitiert einen Hooligan: „Irgendwie ist das verdammt schwer, einfach nationalbewußt zu sein. Man wird immer als irgendwelcher Skin oder Rechtsradikaler oder mit früher in Verbindung gebracht. Das find ich irgendwie merkwürdig, daß man das einfach im eigenen Land nicht mehr darf: einfach stolz auf sein Land zu sein und sich da einfach auch für geradezumachen und einfach sagen also: „ich liebe dieses Land und möchte, daß wir überall an erster Stelle stehen, sei es sportlich, sei es was weiß ich wirtschaftlich oder derartiges...“ und da sagen die Medien: ‘guck dir mal die ganzen Nazis an’. Das geht nicht in meinen Kopf rein.“ Diese Äußerung macht deutlich, daß wir nicht vorschnell alle nationalgesinnten und ausländerfeindlichen Äußerungen als rechtsradikal werten dürfen. Viele Jugendliche, die aufgrund ihrer Meinung und ihrer Taten von den Medien und den Politikern vorschnell als Rechtsradikale abgestempelt werden, sind dies längst noch nicht. Rechtsradikale Orientierungen zeichnen sich dadurch aus, daß sie

von der Ungleichheit der Menschen und Rassen ausgehen,

nationalistische Überhöhungen vornehmen,

rassistische und ausländerfeindliche Sichtweisen einnehmen,

zwischen „lebenswertem“ und „unlebenswertem“ Leben unterscheiden,

die Notwendigkeit einer „natürlichen“ Hierarchie behaupten,

das Recht des Stärkeren hervorheben,

ein totalitäres Normverständnis einnehmen und damit die Ausgrenzung des „Andersseins“ begründen und

als politisches Grundelement Gewalt als Mittel politischen Handelns akzeptieren.

Viele Jugendliche befinden sich eher in einer Grauzone. In diesem Bereich treten verschiedenste Orientierungen von nationaler, autoritärer, fremdenfeindlicher und gewaltfaszinierter Richtung auf, die aber noch nicht offen gewaltverherrlichende und rassistische Ideologien vertreten. Es ist dringend geboten, vorsichtig mit der Etikettierung Jugendlicher als rechtsradikal und rechtsextrem umzugehen. Hinter der Fremdenfeindlichkeit und der nationalen Orientierungen verbergen sich häufig Ängste, Unsicherheiten und nicht bewältigte Alltagsprobleme. Die Jugendlichen spüren Ihre unsichere Position in der Gesellschaft und entwickeln dabei Versagensängste. Sie finden beispielsweise keine Lehrstelle und bekommen Existenzängste, wie sie sich ohne Ausbildung in der Gesellschaft zurecht finden sollen. Dabei entwickelt sich bei den Jugendlichen das Gefühl der Ohnmacht, aus der die Wut entspringt. Die Wut wird zur Gewaltanwendung, wenn sie sich stark und im Recht fühlen. BERENTZEN (1992) sagt dazu: „Wo Jugendliche nicht selbst gehört werden, wo sie keine Stimme haben, nichts bewirken können, da wächst die Neigung zur Idealisierung von Gewalt als politischer Aktion.“

 

KRAFELD geht in die gleiche Richtung. „Extreme Auffassungen, Provokationen und besonders Gewalt von Jugendlichen sind dagegen in aller Regel nicht primär und vorrangig politisch begründet und an bestimmte politische Positionen gebunden. Weit mehr sind sie als ein verbreitetes Mittel junger Menschen zu sehen, auch dort wahrgenommen und ernstgenommen zu werden, wo sie es eigentlich nicht (oder nicht mehr) erwarten. Und das hat vor allem etwas mit ihren Lebensverhältnissen, ihren Lebensaussichten, mit ihren Entfaltungschancen, Selbstfindungs- und Selbstverwirklichungsmöglichkeiten in dieser Gesellschaft zu tun.“ KRAFELD zieht daraus die Konsequenz, daß es um die Probleme gehen müsse, die die Jugendlichen haben und nicht um die, die sie uns machen.

 

2.1.2 Sozialpädagogische Konsequenz

 

Trotz der Empörung über die menschenverachtenden Gewalttaten sollte bedacht werden, daß diese Jugendlichen Bestandteil und Produkt der Gesellschaft sind, für die alle Menschen Verantwortung tragen. Gesellschaftliche Veränderungen sind notwendig, um besonders Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. So kann gegen die gesellschaftliche Perspektivlosigkeit der Jugendlichen angegangen werden. Die rechtsradikal-orientierten Jugendlichen sollten nicht ausgegrenzt und dadurch ihre Gewaltbereitschaft noch verstärkt werden. Die Gesellschaft muß sich mit ihnen auseinandersetzen. Für die sozialpädagogische Arbeit mit gewaltbereiten Jugendlichen stellt PILZ (1993) die folgenden Forderungen auf, die ich zu folgenden fünf Thesen zusammengefaßt habe:

Problemorientierte Arbeit mit Jugendlichen ist sinnvoll, wenn sie ermutigt Probleme offen zu legen und Alltagskonflikte zu benennen. Dazu ist es notwendig einen angstfreien Erfahrungsraum zu schaffen. Die Jugendlichen können dabei zu einer kritischen Reflexion ihrer Standpunkte befähigt werden und lernen, daß Alltagskonflikte nicht als unveränderlich akzeptiert werden müssen. Die eigene Sprachlosigkeit gegenüber unbequemen, rechtsgerichteten und gewaltbereiten Jugendlichen sollte überwunden werden. Das bedeutet Äußerungen nicht von vornherein abzuwürgen, auch wenn sie ausländerfeindlichen oder rechtsradikalen Inhalts sind. Die Kommunikationsbereitschaft gilt es aufrechtzuerhalten, denn in den meisten Fällen verbergen sich hinter Fremdenfeindlichkeit und Gewalt eigene Unsicherheiten und Ängste, vor den nicht bewältigten eigenen und gesellschaftlichen Alltagsproblemen. Aber mit Argumenten erreicht man wenig, denn meist wird die Angst noch größer und die Fronten verschärfen sich. Nach BAURIEDL (1993) kommt es darauf an, die Angst des anderen aufzunehmen und "selbst keine Angst vor der anderen Ideologie zu haben. Wenn man sich im Gegenteil für die andere Ideologie interessiert und für die sie tragenden Gefühle, dann - so zeigt die Erfahrung ­- kommen Gespräche in Gang.. Die meisten Menschen reagieren auf Menschen mit einer anderen Ideologie mit Schweigen oder wollen den anderen argumentativ davon überzeugen, daß er unrecht hat. Nur selten wird dem anderen ein Raum angeboten, in dem er sagen kann, wie es ihn geht und wieso er dieser oder jener Ansicht ist. Viele glauben, daß es allein nichts bewirkt. Aber wenn man davon ausgeht, daß Gewalt ein Ausdruck von Unsicherheit ist, dann muß man lernen, mit der Unsicherheit umzugehen und nicht mit einer Gegenideologie zu reagieren!"

Der Aufbau einer "kontrafaktischen Gegenkultur" sollte nach HEYE (1987) von den Sozialpädagogen als Arbeitsauftrag verstanden werden. Es geht dabei, nach Möglichkeiten zu suchen, wie der Vereinzelung, Vereinsamung, Polarisierung und Zersplitterung entgegen getreten werden kann. Es entsteht bei den Jugendlichen ein Sinnverlust, denn sie sehen für sich keine Perspektive in der Gesellschaft. Durch intensivere Beziehungen der Jugendlichen untereinander und zu den Sozialpädagogen kann sich ein „Anregungsmilieu“ und ein Bewußtsein über die eigene Lage und Schritte zur Veränderung entwickeln. Somit können die Jugendlichen sich mehr an den Pädagogen, aber auch an den Gleichaltrigen orientieren. Alle Jugendlichen haben ein Bedürfnis nach Körperausdruck, das ist besonders bei gewaltbereiten Jugendlichen der Fall. Diesem Bedürfnis muß die Pädagogik Rechnung tragen, in dem aktions- und erlebnisorientierte Angebote entwickelt werden. Damit kann der "Tatendrang" der Jugendlichen aufzugreifen.

Jugendliche sollten nicht nur individuell gesehen werden, sondern als Mitglieder ihrer Bezugsgruppe. Bestehende "informelle Gruppen" bieten einen möglicherweise guten Anknüpfungspunkt und sollten  nicht ”sinnvoll” umstrukturiert werden. Darüber hinaus sollte der sozialpädagogische Auftrag so verstanden werden, daß Angebote für informelle Gruppen gefördert werden.

Sich auf unbequeme Jugendliche einzulassen und deren  Bedürfnisse zu akzeptieren, bedeutet ihnen Freiräume lassen und kleine Normverletzungen zu tolerieren. Jeder Eingriff vergrößert die Attraktivität der "Subkultur", was nicht bedeutet, daß gegen gravierende Normverletzungen nicht eingeschritten werden soll. Dabei hat eine Grenzziehung klar und deutlich zu erfolgen.

Wer von Pädagogik redet, darf von Politik nicht schweigen. Deshalb sollten Sozialpädagogen sich in die familienpolitische Diskussion, Bildungspolitik, Behauptung gegenüber verschiedenen Institutionen einmischen. Dabei muß realisiert werden, wie GRATE (1991) es beschreibt, „daß jede Gesellschaft die Jugend hat, die sie verdient.''

 

2.1.3 Umsetzung in der Bewährungshilfe

 

Für die Bewährungshilfe sollten diese Grundüberlegungen zu einer „akzeptierenden Jugendarbeit“ berücksichtigt werden. Das bedeutet, einen Gegenpol zu der kontrollierenden Tätigkeit der Bewährungshelfer zu setzen und das Hilfsangebot zu erweitern.

Die beschriebene sozialpädagogische Konsequenz zum Umgang mit gewaltbereiten Jugendlichen kann natürlich nicht einfach übernommen werden. Das Arbeitsfeld der Bewährungshilfe ist begrenzt auf den Umgang mit den vom Gericht unterstellten Personen. Sozialarbeit in der ambulanten Straffälligenhilfe konzentriert sich auf die zu betreuenden Klienten, sollte aber auch stadtteilbezogene, familienorientierte Sozialarbeit beinhalten.  Der Klient wird in seiner ganzen Persönlichkeit und der Einordnung in sein soziales Umfeld begriffen. Auch wenn nicht eine allgemeine Jugendarbeit im Mittelpunkt der Tätigkeit der Bewährungshelfer stehen kann, so sollten die Erkenntnisse der „akzeptierenden Jugendarbeit“ in das Arbeitsfeld einfließen. Um zu gewährleisten, daß eine Nähe zum Klientel und eine effektive Bearbeitung der Lebensprobleme erreicht wird, erscheint es mir folgerichtig, an der bisher entwickelten „Gruppenarbeit mit Probanden“ anzusetzen. Es besteht die Notwendigkeit, diese weiterzuentwickeln, damit sie effektiver mit Problemgruppen - wie gewaltbereiten, rechtsradikalen Jugendlichen - arbeiten kann.

 

2.2. Bewährungshilfe und Gruppenarbeit in Hessen

 

2.2.1 Bewährungshilfe: Rechtliche Stellung und

         kriminalpolitische Bedeutung

 

Die Bewährungshilfe ist eine Institution der Rechtspflege. Die Bewährungshelfer stehen den vom Gericht Verurteilten helfend und betreuend zur Seite, wie dies das Strafgesetzbuch (StGB) im § 56 d, Abs. 3 regelt. Bewährungshelfer begleiten Straffällige nach der Verurteilung einer Straftat oder nach der Haftentlassung unter Aussetzung eines Strafrechtes (§56, 57 StGB). Ziel der Betreuung und Hilfe ist die Bearbeitung sozialer und psychologischer Probleme, um ein straffreies Leben führen zu können. Das trifft auch auf die anderen rechtlichen Regelungen für die Betreuung von Jugendlichen nach dem Jugendgerichtsgesetz (JGG) zu  (§24, 88 JGG). Die Bewährungshilfe ist durch den Doppelcharakter ihres Auftrags geprägt, denn neben der Hilfe, soll auch die „Überwachung der Auflagen und Weisungen“( §56 d, 3 StGB) erfolgen. Einerseits sollen die Bewährungshelfer zu ihren Probanden  ein Vertrauensverhältnis entwickeln, anderseits sind sie verpflichtet dem Gericht „gröbliche und beharrliche Verstöße“ zu melden.

Organisatorisch sind sie der Justizverwaltung angegliedert. In Hessen sind die Bewährungshelfer den einzelnen Landgerichten zugeordnet. STEMMILDT (1996) beschreibt die hessische Bewährungshilfe: Ende 1995 waren 164 Stellen besetzt. „Die Bewährungshilfe in Hessen ist weitgehend regional organisiert, d.h., er gibt eine Zuständigkeit für bestimmte Bezirke, Städte, Gemeinden oder Stadtteile / Straßenzüge.“ Teilweise ist die Zuständigkeit auch nach Buchstaben oder einem internen Belastungsausgleich geregelt. Somit verteilen sich die Bewährungshelfer auf insgesamt 27 regionale Büros.

Bei der Bewährungshilfe arbeiten Sozialarbeiter / -pädagogen mit abgeschlossenem Fachhochschulstudium. Sie sind überwiegend als Beamte beschäftigt.

Die Fachaufsicht  über die Tätigkeit des Bewährungshelfers übt das zuständige Gericht aus, das die Bewährung anordnete.  Die dienstliche Aufsicht obliegt dem jeweiligen Landgericht.

Statistisch hat jeder Bewährungshelfer eine Fallbelastung von knapp 90 Verfahren[5]. Dabei gibt es einzelne Bewährungshelfer, die für über 100 Verfahren bestellt sind.

Spezialisierte Bewährungshelfer gibt es in Hessen nicht. Im Landgerichtsbezirk Darmstadt gibt es Bewährungshelfer, die in den Projekten Unterhaltspflichtverletzung und Schuldnerberatung tätig sind. Traditionellerweise wird Bewährungshilfe als Einzelfallhilfe durchgeführt. Die Einzelfallhilfe wird nach NEIDHART (1980) „überwiegend als Arbeit mit einzelnen verstanden“. Die Beratung und Hilfe findet somit im direkten Verhältnis von Bewährungshelfer zu Proband statt.

STEMMILDT (1996) führt aus, daß „als Arbeitsmethode überwiegt bei weitem in Hessen die sogenannte Einzelfallhilfe; Gruppenarbeit und Gemeinwesenarbeit als Methode werden in Umfragen mit 20- bzw. 10% ebenfalls genannt.“[6]

 

2.2.2 Präventionsrat und Arbeitstagungen des Hessischen

      Ministerium der Justiz

 

Zur Frage von "Gewalt gegen Minderheiten" hat die SACHVERSTÄNDIGENKOMMISSION FÜR KRIMINALPRÄVENTION DER HESSISCHEN LANDESREGIERUNG (1993)  festgehalten:

"Eine Verschärfung des Strafrechts wird grundsätzlich nicht befürwortet. Die schnelle und konsequente Anwendung der bestehenden strafrechtlichen Normen (erscheint) ausreichend.. Jugendstrafrecht ist ... auch bei rechtsextremen Jugendlichen in der ganzen Breite anzuwenden. Bei vielen jugendlichen Delinquenten ist die rechtsextreme Einstellung eher diffus und nicht verfestigt. Wichtig ist allerdings, daß das Gewaltphänomen wahrgenommen wird und auch in den sozialen Diensten der Justiz Beachtung findet. Deshalb sind die sozialen Dienste der Justiz zu befähigen, auch mit rechten gewaltbereiten Jugendlichen umzugehen. "

Das Hessische Ministerium der Justiz veranstaltete im Mai 1993 eine Arbeitstagung für Richter, Staatsanwälte, Bewährungs- und Gerichtshelfer zum Thema "Strafjustiz und Rechtsradikale" in Frankfurt-Höchst. Die verschiedenen Bereiche in der Justiz sollten dabei die Möglichkeit haben sich über gesellschaftliche Bedingungen, Erscheinungsformen und Entwicklung des Rechtsradikalismus zu informieren und sich in Arbeitsgruppen über Möglichkeiten und Grenzen des Umgangs mit gewaltbereiten und rechten Jugendlichen auszutauschen.

lm Juli 1994 schloß sich eine weitere Tagung in Schlangenbad zu den Reaktionsmöglichkeiten und -grenzen der Justiz an. Über den Personenkreis von 1993 hinaus wurden nun auch Polizisten und weitere Referenten - besonders von Hochschulen - ­eingeladen. Die Juristen wiesen dabei daraufhin, daß die Sanktionsmöglichkeiten ausreichten und insbesondere die Vielfalt des Jugendstrafrechts noch besser genutzt werden müßten. Den Tätern sollten die Grenzen ihres Handelns deutlich aufgezeigt werden, aber es sei gerade gegenüber Aussteigewilligen aus der rechten Szene genauso wichtig, Kontakt zu halten und Hilfen anzubieten. So fordert HAFENEGER (1994) in den Thesen zur Arbeitsgruppe „Pädagogische Arbeit mit verurteilten Jugendlichen im Rahmen der Bewährungshilfe“ dieser Tagung; „die Pädagogik (muß) Anknüpfungspunkte finden, die eine Bereitschaft zur Zusammenarbeit ermöglichen“.  Dabei forderten Bewährungshelfer, daß sie "Rückendeckung für erlebnisorientierte Pädagogik" von der Justiz erhalten müßten. "Fahrradtouren mit Skinheads dürften kein Tabu sein."[7]

Bei beiden Veranstaltungen wurde deutlich, daß eine vertiefende Auseinandersetzung notwendig ist. Besonders für die Straffälligenhilfe stellte die SACHVERSTÄNDIGENKOMMISSION FÜR KRIMINAL-PRÄVENTION (1993) fest, daß weitere und mehr Personen erreichende Fortbildungsveranstaltungen notwendig sind. ”Hierzu bedarf es spezifischer Fortbildungsmaßnahmen und der Entwicklung von erlebnispädagogischen Modellen, insbesondere für die Gruppenarbeit. Sinnvoll erscheint es auch, Jugendsozialarbeit, Jugendgerichtshilfe und Bewährungshilfe dergestalt zu vernetzen, daß die dort angebotenen Hilfen aufeinander aufbauen können. Zudem erscheint ein stetiger Erfahrungsaustausch angebracht, um die jeweiligen erworbenen Kenntnisse zu nutzen. "

Das FORUM AHLBERG hat diese Erkenntnis aufgegriffen und sich inhaltlich auf eine Fortbildungsreihe vorbereitet, die die Fragen des Umgangs mit gewaltbereiten und rechtsradikalen Jugendlichen und der Anwendung von sozialer Gruppenarbeit verknüpft.

 

2.2.3 Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe

 

Die Bewährungshilfe arbeitet seit ihrer Gründung 1954 vor allem in Form der Einzelfallhilfe zur Betreuung der unterstellten Probanden. Das hat sich bis heute im wesentlichen nicht verändert. Gruppenarbeit haben immer nur vereinzelte Bewährungshelfer  praktiziert. Bei der Betrachtung der Geschichte der Gruppenarbeit kann man verschiedene Phasen und regionale Unterschiede feststellen. Die Geschichte steht auch im Zusammenhang mit den verschieden starken Widerständen seitens der Justizverwaltungen, Ministerien und von Bewährungshelfern selbst.

LIPPENMEIER (1971, 1979, 1981, 1982) hat in verschiedenen Veröffentlichungen die Praxis der Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe untersucht. Er hat dabei anfangs seine eigene Praxis als Bewährungshelfer in Wanne - Eickel beschrieben. Später war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FU Berlin am Aufbau und der Durchführung der Projektgruppe Gruppenarbeit in Berlin tätig. Mit anderen Fachkräften hat er die Einrichtung und Durchführung der Lehrgänge für Gruppenarbeit bei der Deutschen Bewährungshilfe initiiert. Dabei wurde die problemorientierte Gruppenarbeit als methodische Weiterentwicklung für die Bewährungshilfe betrachtet. LIPPENMEIER und SAGEBIEL (1982) beschreiben die "problemorientierte Gruppenarbeit (als) eine Erweiterung und Intensivierung des Hilfeangebots der Bewährungshilfe. Die Probandengruppe ist ein soziales Lernfeld, in dem der Einzelne üben kann, selbständig zu werden. Die Gruppenmitglieder können lernen, durch inhaltliche Auseinandersetzungen Entscheidungen gemeinsam zu treffen und diese in die Praxis umzusetzen." Die Probanden sollen damit die Möglichkeit erhalten "sich persönlich zu akzeptieren, sich wohlzufühlen und emotional zu äußern". Darüber hinaus erhält der Bewährungshelfer einen quantitativen Vorteil, denn zur gleichen Zeit erreicht er mehrere Probanden und qualitativ können die ähnlichen Problemlagen gründlicher bearbeitet werden, "weil die Probanden selber zu Beratern werden."

Nach GOLDBRUNNER (1983) kann man die Geschichte der Gruppenarbeit in drei Perioden einteilen. In der 1. Periode stand die Freizeitpädagogik im Vordergrund, während in der 2. Periode es schwerpunktmäßig um die Übernahme der sozialen Gruppenarbeit - also der Bearbeitung der individuellen Probleme der Gruppenmitglieder - ging. Die 3. Periode sollte seiner Auffassung nach die Systematisierung und Institutionalisierung der Gruppenarbeit anstreben. Das ist m.E. noch nicht geschehen. Eher ist die 3. Periode mit einer Vielzahl der Gruppenangebote von Freizeit-, über Erlebnis- zu themen- und problemorientierten Gruppen zu beschreiben.

Im Folgenden will ich einen kurzen historischen Rückblick auf die Gruppenarbeit in der Bundesrepublik geben und mich anschließend besonders mit der Gruppenarbeit in Hessen ab der Mitte der 80er Jahre beschäftigten.

 

2.2.3.1 Freizeitaktivitäten

 

Die Gruppenarbeit war anfangs in den 50er / 60er Jahren geprägt durch Bewährungshelfer, die durch die Jugendbewegung bzw. die von der Pädagogik der Gemeinschaft beeinflußt waren. Im Vordergrund stand dabei die gemeinsame Aktivität im Tun und Erleben. Einerseits wurden Fahrten am Wochenende oder in den Ferien durchgeführt, gemeinsame Abende und spezielle Aktivitäten, wie z.B. Foto-, Theater-, Kegel- und Skatabende durchgeführt. In und durch die Gruppe sollte eine angenehme Atmosphäre geschaffen werden und die Gruppe sollte für die Teilnehmer eine Art neues Zuhause sein. Dieser Ansatz versuchte weniger an den Defiziten anzusetzen; die positive Seite sollte entwickelt werden: es sollte Spaß machen an den Aktivitäten sich zu beteiligen. Dabei spielte als Gruppenleiter die Person des Bewährungshelfers eine besondere Rolle. Er mußte sich wie eine „Vaterfigur“ verhalten, der sich einerseits stark einbrachte und andererseits eine gewisse Distanz durch eine unbestechliche Autorität darstellte. Für den engagierten Gruppenleiter war es fast selbstverständlich, daß er nicht scharf trennte zwischen Profession und Privatleben und einen Teil seiner eigenen Freizeit für die Probandengruppe opferte. Diese Bewährungshelfer verfügten teilweise über umfangreiche Gruppenerfahrungen, die sie überwiegend aus der Jugendarbeit gewonnen hatten.

 

2.2.3.2 "Social Group Work";

 

Die Zweite Periode orientiert sich an der in den USA entwickelten "Social Group Work". Die weiterhin praktizierten Gruppenaktivitäten sollten nicht mehr einem unterstellten Selbstzweck dienen, sondern mittels des Gruppengespräches sollen Probleme der Gruppenmitglieder bearbeitet werden. Die Gespräche erhielten einen therapeutischen Charakter. Die klientenzentrierte Gesprächsführung wie auch der Versuch des Einfühlens in den Probanden prägten die Vorgehensweise. Die Gruppenleiter hatten sich in der Regel durch gruppendynamische Kurse fortgebildet und meist Supervision in Anspruch genommen. Die Gruppe sollte dem einzelnen Teilnehmer ein Gefühl des Angenommenseins und ein Lernfeld für soziales Verhalten und Konfliktbearbeitung sein. Die Teilnehmer können dabei ihre eigenen Gefühle erkennen und lernen, diese auszusprechen und erfahren, daß auch andere ähnliche Gefühle und Erfahrungen machen. Die unterschiedlichen Sichtweisen von Problemen, Einstellungen und Lösungsmöglichkeiten werden sichtbar. Somit werden verschiedene Identifikationsmöglichkeiten ermöglicht, und es können frühere Identifikationen aufgegeben werden. Die Gruppennorm, die eine gewisse Gleichrangigkeit ihrer Mitglieder verlangt, kann internalisiert werden. Die Gruppe schafft neue Orientierungen und kann das Selbstbewußtsein stärken.

 

2.2.3.3 Versuche institutioneller Verankerung

 

Seinen Niederschlag hat diese Entwicklung in dem Projekt „Ambulante Therapie für Delinquente (ATD)“ in Westberlin (1974-78) gefunden. Dazu wurde ein Arbeitskreis „Gruppenarbeit mit Probanden, Berlin“ gegründet, der sich aus Bewährungshelfern und Mitarbeitern des Forensischen Instituts der Freien Universität Berlin zusammensetzte. Dieses Projekt hat LIPPENMEIER (1981) ausführlich beschrieben. In erster Linie wurde nach der Methode der problemorientierten Gruppenarbeit gearbeitet, was bedeutet, daß die angesprochenen Probleme der einzelnen Probanden in der Gruppe besprochen wurden. Dabei konnten die teilnehmenden Gruppenmitglieder ebenfalls zu Mitberatern werden. Der problemorientierte Ansatz setzte sich in den folgenden Jahren in der Praxis durch. Nicht nur in Berlin, sondern an vielen Orten der Bundesrepublik gab es Bewährungshelfer, die Gruppenarbeit mit ihren Probanden durchführten. 1978 führte das zu einem bundesweiten Zusammenschluß, aus dem dann ein Lehrgang „Problemorientierte Gruppenarbeit“ entstand. Dieser Lehrgang wurde von der Deutschen Bewährungshilfe (DBH) veranstaltet, wobei das Forensische Institut und der Arbeitskreis Gruppendynamik (DAGG) als Mitveranstalter fungierten. Der Lehrgang bestand über mehrere Jahre. Gleichzeitig entstand das „Gesprächsforum Gruppenarbeit“, um den Absolventen der Lehrgänge und Interessierten einen Ort des Erfahrungsaustausches zu möglichen. Das Gesprächsforum wird seit dem jährlich selbständig von einer wechselnden Vorbereitungsgruppe an unterschiedlichen Orten Deutschlands organisiert.

 

2.2.3.4 Gruppenarbeit in Hessen

 

Nicht bekannt ist, in wieweit die Gruppenarbeit der ersten und zweiten Periode in Hessen ihren Niederschlag fanden. LIPPENMEIER (1971) erwähnt die Arbeit des Bewährungshelfers Schöpping aus Friedberg, der zwischen 1966 und 1970 gesprächsorientierte Gruppen durchführte. An dem Lehrgang der DBH und DAGG nahmen mehrere Bewährungshelfer aus Hessen teil. Dadurch entfalteten sich verschiedene Gruppenaktivitäten in unterschiedlichen Städten. In Anlehnung an ein Projekt in Berlin wurde in Frankfurt ein Verkehrsstraftäterprojekt bei der Bewährungshilfe eingerichtet. In einer Art sozialem Verkehrstaining wurden die Verurteilten in Gruppen zusammengefaßt. Neben einer Schulung in Kooperation mit dem TÜV wurden Gruppen durchgeführt, in denen Problemlagen des Straßenverkehrs und der Gruppenmitglieder besprochen wurden.

Einen neuen Auftrieb bekam die Gruppenarbeit in Hessen durch Bewährungshelfern, die sich 1987 in einer eigenständig organisierten Fortbildung zusammenschlossen. Als Fortbildungsleiter konnte Norbert Lippenmeier gewonnen werden, der Leiter des Berliner Projektes beim Forensische Institut und Teamer bei dem Lehrgang „Problemorientierte Gruppenarbeit“ war. Durch die Fortbildung entstanden an verschiedenen Orten Hessens, anfangs besonders in Mittelhessen, Probandengruppen. Anfänglich wurden in erster Linie Gesprächsgruppen organisiert, in denen angesprochene Probleme der Gruppenmitglieder oder allgemeinere Themen diskutiert wurden. ln den letzten Jahren verlagerte sich das Gewicht mehr auf eine Mischung von problem- und erlebnisorientierter Gruppenarbeit. Eine Untersuchung  von RECKLING (1992) zeigte, daß über einen Zeitraum von 1988 - 1992 von 16 Bewährungshelfern 66 Gruppenaktivitäten durchgeführt wurden. An den Gruppenaktivitäten nahmen 266 Probanden teil.

Der Kreis der Bewährungshelfer in Hessen erweiterte sich auch, weil der „Verein zur Förderung der Bewährungshilfe“ weitere Veranstaltungen für interessierte Mitarbeiter finanzierte. Schließlich hat das Hessische Ministerium der Justiz den Lehrgang zum Umgang mit gewaltbereiten und rechtsradikalen Jugendlichen mit der Methode der erlebnisorientierten Gruppenarbeit veranstaltete. Insgesamt kann man sagen, daß in den vergangenen 9 Jahren ca. 50 Bewährungshelfer Gruppenarbeit praktizierten, oder sich durch eine Teilnahme an einer Veranstaltung interessierten.

 

 

 

 

 

 

2.3 Erlebnispädagogische Gruppenarbeit in der

      Bewährungshilfe

 

2.3.1 Theoretische Grundannahmen

 

Mit dem Lehrgang sollte die Praktizierung von Gruppenarbeit angeregt werden, die auf der Erlebnispädagogik aufbaut. Nach BRENNER (1993) bietet die Erlebnispädagogik folgende Möglichkeiten:

Die soziale und gemeinschaftliche Erprobung von Anforderungen wird ermöglicht. Das fördert den gruppentherapeutischen Prozeß der Rollenfindung, Beziehungsgestaltung zu Gruppenmitgliedern, Bewältigung von Konflikten und Krisen, Identitätsfindung und Stärkung des Gruppengefühls. Neben dem allgemeinen Lernziel der Solidarität, geht es dabei um Selbstbestimmung, Einfühlungsvermögen, Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft.

Die teilnehmenden Jugendlichen können die Konsequenzen des eigenen Tuns und Handelns  einschätzen und akzeptieren lernen.

Die Gruppenbildung wird erheblich beschleunigt und intensiviert.

Die Bewältigung von Problemen kann realistischer erlernt werden. Erfolge und  Mißerfolge können angemessener  gewichtet werden.

Erlebnissportliche Anstrengungen können die Bereitschaft verstärken sich auch sinnhaften und theoretischen Fragen zu stellen.

Die Anfänge der erlebnispädagogischen Ansätze liegen in den natursportlich orientierten Unternehmungen der Jugendbewegung der 20er Jahre. Die Geschichte der Erlebnispädagogik ist eng verbunden mit dem reformpädagogischen Konzept Kurt Hahns (1886 - 1974). Hahn war Initiator der Kurzschulen, deren Ziele in der Herausbildung von Verantwortungsbewußtsein, körperlicher Stärke und Geschicklichkeit, Förderung kreativer Fähigkeiten sowie in der Erweiterung von Initiative und Spontanität lagen. Hahn begriff Erziehung nicht nur als Wissensvermittlung, sondern rückte die Ausbildung der Persönlichkeit in den Mittelpunkt seines Ansatzes. Auch heute basiert die Erlebnispädagogik auf der Annahme, daß ein unmittelbares Erleben im Alltag zurückgedrängt wird durch den Medienkonsum und die komplexen Umweltreize der modernen Industriegesellschaft. Pädagogische Ziele sind dementsprechend: den Menschen in einer ganzheitlichen Arbeitsform anzusprechen, Lernen durch Handeln zu ermöglichen und einen Ausweg aus erdrückenden Lebensverhältnissen zu bieten. Bei der Erlebnispädagogik steht die affektive Lernebene im Vordergrund. D.h. damit kann man auch den Menschen gerecht zu werden, die aufgrund von Bildungsdefiziten eine geringere Ausdrucksmöglichkeit haben und deren kognitive Lernfähigkeit weniger ausgeprägt ist.

ZIEGENSPECK (1996) weist daraufhin, daß die Erlebnispädagogik kein Überlebenstraining noch eine Ranger-Ausbildung ist. Mit dem Slogan "Gelobt sei, was hart macht!" habe sie nichts zu tun. Erlebnispädagogik sei Erziehung, deren Praxis begründbar und transparent sein müsse. Der Begriff "Abenteuer-Pädagogik" sei nicht sinnvoll, denn das Abenteuer ist nicht planbar, bürge erhebliche Risiken und dürfe deshalb nicht als pädagogisches Mittel eingesetzt werden. Das Erlebnis muß also planbar und pädagogisch begründet sein.

 

2.3.2 Bisherige Formen der Erlebnispädagogik in der

         Bewährungshilfe

 

Diese Grundannahmen und die Übertragung von Erlebnisaktivitäten aus der Jugendarbeit haben Bewährungshelfer veranlaßt in dieser methodischen Richtung Erfahrungen zu sammeln. Dabei ist dieser Ansatz in der Bewährungshilfe auch nicht neu. Schon in den 50er und 60er Jahren waren jugendbewegte Bewährungshelfer mit ihren Probanden auf Wanderungen und Freizeitaktivitäten unterwegs.

Ausgangspunkt in Hessen war die seit 1987 existierende Fortbildung „Gruppenarbeit“. Von diesen Teilnehmern - aber auch darüber hinaus - gab es verschiedene Ansätze für Gruppenaktivitäten.

In den vergangenen 5 Jahren wurden als erlebnispädagogische Aktivitäten in  Hessen von Bewährungshelfern durchgeführt:

Kanutouren auf heimischen Flüssen,

Klettertouren an Felswänden,

Burgaufenthalte mit Seminar- und Erlebnispädagogik,

Erlebniswanderungen.

 

2.3.3 Bedeutung der Erlebnispädagogik für die Bewährungshilfe

 

Es stellt sich nun die Frage, ob diese sich in der Praxis der Sozialpädagogik entwickelte Erlebnispädagogik auch für die Bewährungshilfe anwendbar ist?

Durch den Zwangscharakter der Beziehung wird  von Seiten der Probanden eine Distanzierung entwickelt. Diese bleibt häufig über die Bewährungszeit bestehen, wenn nicht vertrauensfördernde bzw. die Persönlichkeit herausfordernde Maßnahmen in die Beziehung von Seiten der Bewährungshelfer hineingetragen werden. Dabei bleibt die Einzelfallhilfe oft da stecken, wenn der Bewährungshelfer mit dem moralischen Gewissen der Gesellschaft argumentiert (“du darfst aber nicht...") und der Proband sein Versteckspiel ("Ich komme schon zurecht...") fortsetzt. Wenn es nicht gelingt  diese Situation zu verändern, so werden Bewährungshelfer und Proband aneinander vorbeiagieren. Die klassische Einzelfallhilfe, die sich in der Praxis häufig auf eine Schreibtisch-Sozialarbeit reduziert, schafft es nicht an die wahren Belange der Probanden heranzukommen. Für die Bewährungshelfer bleibt die Persönlichkeit und reale Lebenslage des Probanden  meist verschleiert. Somit bleibt auch der Bewährungshelfer auf Distanz zum Probanden.

Die Erlebnispädagogik bietet dagegen die Möglichkeit, vorrangig praktische Fertigkeiten und Kenntnisse erfahrbar zu machen. Die dadurch entstehende Nähe, kann aufbauend zu einem besseren Verstehen der Lebenssituation des Probanden führen. Dies kann zum einem die Selbsterkenntnis des Probanden fördern und zum anderen die Möglichkeit des Bewährungshelfers eröffnen effiziente Hilfen anzubieten.

Die von ZIEGENSPECK (1996) aufgestellten „Thesen mit Aufforderungscharakter"  deuten auf die mögliche Anwendung gerade bei delinquenten Jugendlichen und jungen Erwachsenen hin: "Nicht das Lernen über den Kopf ist Trumpf (und wieviele Jugendliche haben durch ein solches verschultes Lernen das Lernen verlernt ?), sondern das Lernen über die Hand und die unmittelbare Beobachtung und Erfahrung wird angebahnt (und steigt dann manchem auch wohl zu Kopfe!)". Der Stellenwelt des Erlebnisses bei der Vermittlung von Erfahrungen und Wissen ist keine neue Erkenntnis.  ROUSSEAU (1975) vertrat die Auffassung, daß Handlung und Erfahrung in der Erziehung bestimmend sein sollten: " Und denkt daran, daß ihr in allen Fächern mehr durch Handlungen als durch Worte belehren müßt. Denn Kinder vergessen leicht, was sie gesagt haben und was man ihnen gesagt hat, aber nicht, was sie getan haben und was man ihnen tat".

In der Bewährungshilfe wurde bisher hauptsächlich der gesprächsorientierte Ansatz praktiziert. Das ist auch ganz verständlich aufgrund des verbreiteten Verständnisses der Tätigkeit der Bewährungshelfer. Zu diesem Verständnis haben die Bewährungshelfer selber beigetragen, in dem die Einzelfallhilfe im Vordergrund stand. In erster Linie stand das Probandengespräch mit der Beratungs- und Kontrollfunktion. Die sich daraus ableitende Gruppenarbeit war dementsprechend eine Verlängerung dieses Verständnisses. Die Gruppe sollte diese Beratungs- und Kontrollfunktion fortsetzen. Manche versuchten die Kontrollfunktion, die eine große Distanz zu den Probanden schafft, zu minimieren. Das gelang aber meist nicht, zumal die Probanden  nichts anderes als Kontrolle erwarteten. Dies aus der Erfahrung heraus, die Bewährungshilfe so erlebt bzw. für sich eingeordnet zu haben.

Vereinzelt haben Bewährungshelfer diesen Rahmen verlassen und andere Formen der Gruppenarbeit angewandt. Diese erlebnispädagogischen Versuche waren begleitet mit Widerständen und Skepsis der Gerichtsverwaltungen und anderer Bewährungshelfer, die diese Methode ablehnten. Das hat die Bewährungshelfer verunsichert, die Neues ausprobieren wollten. In dieser Tatsache liegt wohl auch der Grund, warum es so schwer ist Veränderungen in der beruflichen Praxis herbeizuführen.

Durch den Lehrgang sind neue erlebnispädagogische Aktivitäten entfaltet worden. Anfangs haben die Teilnehmer gesprächsorientierte Gruppenangebote entwickelt. Das entspricht auch der Annahme, daß diese Gruppenform den Bewährungshelfern mehr Sicherheit verspricht. Aber es zeigt sich auch, wie schwer es ist die Probanden zu Gruppentreffen zu motivieren, wenn sie bisher den kontrollierenden und belehrenden Bewährungshelfer erlebt haben. Bei der Erlebnispädagogik geht es nicht um Kontrolle und Belehrung, sondern um die Aktivität, den Beitrag, den der Einzelne zum Gelingen beiträgt. Andererseits hat dann der Bewährungshelfer nicht mehr die übergeordnete Stellung, sondern er muß seine Leitungskompetenz im praktischen Gruppengeschehen beweisen.

Die Durchführung der erlebnisorientierten Gruppenveranstaltungen zeichnet sich durch einen freieren Umgang mit den Rollenfunktionen (Bewährungshelfer - Proband) aus. Es ist möglich, daß dadurch die Motivation der Probanden zu Veranstaltungen der Bewährungshelfer zu kommen steigt.

Wenn die Annahme richtig ist, daß viele Probanden einer Nachsozialisation bedürfen, so bietet dazu die Erlebnispädagogik einen wichtigen Ansatz, denn sie ermöglicht den Teilnehmern, sich mit Zielen der Veränderung zu identifizieren.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

3 Projektbeschreibung

 

In dem folgenden Kapitel werde ich die Untersuchungsmethode und die Durchführung des Projektes beschreiben. Die Untersuchungsmethode ist gekennzeichnet durch die qualitative Auswertung des vorhandenen Materials, was dem Autor durch seine aktive Teilnahme an dem Lehrgang zugänglich war. Die Projektdurchführung wird ein Phasen eingeteilt, die sich aus dem Verlauf und den Gruppenprozessen ergeben haben. Zu Beginn des Projektes stand die Kompetenzentwicklung der Bewährungshelfer, die sich für die Teilnahme an dem Lehrgang entschieden haben. Dabei werde ich auch pädagogisch-didaktische Eingaben der Lehrgangsleitung beschreiben. Dieses Vorgehen soll auch bewirken, daß die Intentionen der Veranstalter deutlicher werden und das verwendete Material sich für eine mögliche Übernahme in andere ähnliche Weiterbildungsbereiche ermöglicht wird. Im Mittelpunkt dieser Phase stand die Bestandsaufnahme und Planung der Gruppenarbeit vor Ort. Die Umsetzung dieser Erkenntnisse wird in der folgenden Phase Gruppenbildung mit den Probanden beschrieben. Beispielhaft habe ich drei Gruppenbildungsprozesse mit einer Skizze der jeweiligen Anfangsphase an verschiedenen Orten in Hessen beschrieben. In der Phase der Selbsterfahrung und Zwischenauswertung wird die eigene Erfahrung der Teilnehmer des Lehrgangs mit einer erlebnispädagogischen Veranstaltung beschrieben und eine erste Bilanz der Gruppenarbeit gezogen. Die Lehrgangsgruppe hat in einem Auslandsaufenthalt eigene erlebnispädagogische Erfahrungen sammeln können und gleichzeitig  die schriftlichen Zwischenauswertungen der Gruppenarbeit am Arbeitsort gemeinsam besprochen. Schließlich wird die Entwicklung eines eigenen Gruppenkonzeptes der Lehrgangsteilnehmer beschrieben. Die sich aufdrängende Frage der Gruppenarbeit nach dem Lehrgang wird nicht behandelt werden können, da dieser noch nicht beendet ist. In dem Schlußkapitel wird in diesem Zusammenhang ein allgemeiner Ausblick auf die Institutionalisierung von Gruppenarbeit in der hessischen Bewährungshilfe geworfen.

Im Anschluß an die Beschreibung des Projektverlaufs, werde ich die zwei speziellen Fragen besprechen:

Wie wurden die Schwerpunkte Betreuung gewaltbereiter und rechtsradikaler Jugendlicher und junger Erwachsener und erlebnisorientierte Gruppenarbeit thematisch bearbeitet?

Wie äußern sich Probanden, die an Gruppenaktivitäten von Bewährungshelfern teilnahmen?

 

3.1 Methode der Untersuchung

 

Die Veranstalter des Lehrgangs und der Autor kennen aus eigener Erfahrung die Arbeit in der Bewährungshilfe. N. Lippenmeier war früher selber Bewährungshelfer und ist nun im Aus- und  Fortbildungsbereich tätig. Der Autor ist weiter als Bewährungshelfer tätig. Das Anliegen beider ist, daß sich in der Bewährungshilfe Veränderungen zu effektiverer sozialpädagogischer Arbeit mit den Straffälligen entwickelt. Das gemeinsame Vorhaben ist, Gruppenarbeit auszuweiten und ihr in der Bewährungshilfe einen festen Rahmen zu geben. Dieser Prozeß, der seit einigen Jahren sich entwickelt, und nun einen qualitativen Sprung in dem veranstalteten Lehrgang erfuhr, ist Bestandteil dieser Arbeit. Es handelt sich bei dieser Untersuchung somit um eine Praxisforschung. ALTRICHTER u.a. (1997) benutzen den Begriff der Aktionsforschung und definieren: „Aktionsforschung findet statt, wenn Menschen ihre eigene Praxis untersuchen und weiterentwickeln.“ Bei der Charakterisierung von Aktionsforschung wird davon ausgegangen, daß die Praktiker über Beginn, Steuerung und Beendigung der Forschung zu entscheiden haben, denn „diese haben ja auch die Konsequenzen ihrer Handlungen zu tragen, weil ihnen keine externe Instanz ihre professionelle Verantwortung abnehmen kann.“ ALRICHTER u.a. sprechen davon, daß dieses Prinzip durch einen ethischen Code abgesichert werde, der auch die beteiligten Personen schützt. Ein weiteres Merkmal der Aktionsforschung ist die entwickelte Fragestellung, die aus der eigenen Berufspraxis der Praktiker ergeben hat. Darüberhinaus wird durch die Untersuchung bestimmter Fragen eine Veränderung der beruflichen Praxis angestrebt. „Forschen, Lernen und Entwickeln sollen in einem Prozeß integriert werden.“ Bedeutsam ist bei der Aktionsforschung weiter das Zusammenführen von verschiedenen Sichtweisen (was ich versuchte zu verwirklichen, in dem der Herangehensweise der Lehrgangsleitung, die Bedürfnisse und Erwartungen der Lehrgangsteilnehmer entgegengestellt und an einer Stelle die Äußerungen der betroffenen Probanden beschrieben wurden). Neben der Einbettung in eine professionelle Gemeinschaft werden die Veröffentlichung des Praktikerwissens als weitere Charakteristika dieses Forschungsansatzes beschrieben. Die kollegiale Reflexion erfolgt einerseits in der Lehrgangsleitung, als auch in einem größeren Kreis von Bewährungshelfern, die an der Praktizierung von Gruppenarbeit interessiert sind. Dieser Prozeß befindet sich erst in der Anfangsphase, was ebenso die Publikationstätigkeit betrifft, so daß darin noch viel Initiativkraft steckt.

Als Einwände gegen die Methode der Aktionsforschung werden die „Involvierung des Forschers“, die „Validität“ der Ergebnisse und die möglicherweise nicht bestehende „Verallgemeinerbarkeit von Forschungsergebnissen“ angesehen. ALTRICHTER u.a. führen aus, daß bei der Frage der Involvierung es sich um eine reale Gefahr handelte, denn es fehle die notwendigen Distanz. Es ist dabei aber zu bedenken, daß diese Gefahr auch bei anderen Forschungsmethoden bestehe, wie z.B. das „going native in der Ethnologie“. Die Gefahr  vergeringere sich durch die subjektive Fähigkeit des Praktikers, sich dieser Gefahr immer wieder bewußt zu werden und sich Orte zur Reflektion zu suchen. Dies können beispielsweise Gespräche mit Fachkollegen sein.

Von LAMNEK (1983) wird die Frage der Identifikation und Distanz zum Forschungsgegenstand so entwickelt: „Der Forscher muß sich von seiner Alltagswirklichkeit lösen und sich in die des Gegenstandes hineinversetzen, sich mit ihr identifizieren. Damit ist die erste Ebene des Problems ausgemacht: Der Forscher soll Distanz zu sich selbst und Identifikation mit dem Forschungsobjekt entwickeln“. Hier wird also gerade die Identifikation gefordert, was bei dem Untersuchenden gegeben ist. Verstärkt wird das durch die übernommene Aufgabe des Untersuchenden . Er hat in den Seminaren einen bedeutenden Anteil an der Theoriebildung übernommen. Damit stand mehr vermittelnde pädagogische Bildung im Vordergrund. Gleichzeitig hat der Untersuchende die Aufgabe des Supervisors für eine Gruppe übernommen. Das Verständnis von Supervision des Untersuchenden zeichnet sich gerade dadurch aus, daß er ebenso wie der Forscher eine Distanz zu sich und seinen subjektiven Erfahrungen versucht zu entwickeln, um sich mit den Erfahrungen und Sichtweisen der Supervisanden zu identifizieren. Eine ähnliche Rolle wird von LAMNEK  für das Forscherverhalten gefordert.

Die Verbindung von Forscher und Praktikerrolle hat auch den Vorteil, daß eine Einarbeitung in das Arbeitsfeld nicht notwendig ist. Der Forscher hat zu allen relevanten Informationen und Daten einen Zugang. Die persönlich erfahrenen Kenntnisse der Interaktionsprozesse zwischen den Lehrgangsteilnehmern sind dem integrierten Forscher präsent. Schließlich besteht auch der Anspruch, durch Forschung die Praxis zu verändern. Dies kann durch die Teilnahme des Forschers an der Praxis verstärkt werden.

 

3.1.1 Untersuchungsansatz

 

Die Studie basiert auf der chronologischen Rekonstruktion des Verlaufs des Projektes. Dabei wurden auf Grund der Zielsetzung und der Betrachtung des Ablaufs des Projektes in verschiedene Phasen unterteilt.

Als Untersuchungsmaterial wurden alle schriftlichen Aufzeichnungen verwendet. Diese waren

die Ausschreibung des Lehrgangs,

Thesen- und Arbeitspapiere des Veranstalters,

Referate und die schriftliche Zwischenauswertungen über die Gruppenarbeit der Lehrgangsteilnehmer,

persönliche Aufzeichnungen des Autors über Ablauf und Inhalt der Supervisionssitzungen und Seminareinheiten, an denen der Autor selber teilnahm.

Bei der Untersuchung wurde das vorhandene Material qualitativ ausgewertet. Dabei nahm der Autor eine Prozeßperspektive ein, denn er war selber in den Lehrgang einbezogen.

 

3.1.2  Teilnehmende Beobachtung

 

LAMNEK (1983) beschreibt die teilnehmende Beobachtung aus qualitativer Sicht. er benennt dabei die methodischen Bedingungen, als

unstrukturiert, da kein Beobachtungsschema vorab entwickelt wurde,

eine face-to-face-Interaktion im sozialen Feld,

offen und flexibel, weil sich erst in der Beobachtung die Perspektive entwickelt,

natürlich und authentisch, also in der natürlichen Lebenswelt und nicht in einer Laborsituation,

kommunikativen Kontakt zum Untersuchungsgegenstand,

Interpretation der gemachten Aussagen und Verhaltensweisen.

Bei der Untersuchung des beschriebenen Projektes wurden die folgenden methodischen Bedingungen erfüllt: Die Beobachtung war unstrukturiert, denn es war kein Beobachtungsschema vorab entwickelt. Der Autor hat direkt mit den Beteiligten des Projektes in einer „face-to-face-Interaktion“ gearbeitet. Dabei hat er erst in der Beobachtung seine Perspektive entwickelt, wobei einschränkend festgestellt werden muß, daß diese durch seine Leitungsfunktion  festgelegt war. Trotzdem konnte er offen und flexibel sein, denn das Lehrgangskonzept hatte einen groben Rahmen, konnte den Anforderungen entsprechend konkretisiert werden. Die Beobachtung war natürlich und authentisch, denn es handelte sich nicht um eine gekünzelte Laborsituation, sondern um einen Lernprozeß mit praktischem Bezug . 

Die Beobachtungsfelder sind komplex und nicht eingegrenzt. Der Autor hat an fast allen Arbeitsschritten des Lehrgangs teilgenommen. Aus all diesen Erfahrungen wurde das vorhandene Material ausgewertet. Es umfaßt die Seminarwochen mit thematischer Arbeit und die Reflexion der Gruppenerfahrungen der Teilnehmer, die Vor- und Nachbereitungen des Leitungsteams und die Leitung einer Supervisionsgruppe. Der Untersuchende war nicht an allen Seminareinheiten beteiligt, da das Leitungsteam arbeitsteilig arbeitete. Er verfügt auch über keine Informationen aus der 2. Supervisionsgruppe und war nur einmal persönlich beteiligt an einer Gruppenaktivität mit Probanden (mehrtägige Wanderung in Franken). Die anderen Informationen über die Gruppen mit den Probanden erhielt der Autor über die Supervision, Seminarwochen und die schriftlichen Zwischenauswertungen.

Der Autor war sowohl als Forscher und Beobachter tätig.  Dabei war er eher „Teilnehmer als Beobachter“ (LAMNEK, 1983), denn primär war er Teilnehmer - in seiner Funktion als Mitglied des Leitungsteams - und sekundär hatte er die Rolle des Beobachters. Zeitlich betrachtet, war der Untersuchende erst Teilnehmer und später hat er das erarbeitete Material ausgewertet und dadurch die Beobachterrolle eingenommen. Die persönliche Identifikation mit dem Projekt und die anschließende Distanzierung könnte zu dem Konflikt führen, daß willkommende Daten wahrgenommen und unbequeme Tatsachen übergangen werden. Auch in der Auswertungsphase könnte dieses Problem auftreten, wenn die positiven und negativen Ergebnisse des Projektes gewichtet werden sollen. Der Autor ist dieser Gefahr entgegengetreten, in dem er die Lehrgangserfahrungen im Leitungsteam reflektierte, um somit seine subjektive Sichtweise durch die anderen Teammitglieder ins Verhältnis setzen zu können.

Die Untersuchung hat den Anspruch nicht nur die Erfahrungen in dem Projekt wiederzugeben, sondern die Praxis- und Theorieentwicklung im Bereich der Bewährungshilfe und der Gruppenpädagogik weiterzubringen.

 

3.2 Projektverlauf

 

3.2.1 Überblick über die einzelnen Phasen des Projektes

 

Ausgangspunkt für die Projektentwicklung ist die langjährige Erfahrung der Lehrgangsleiter mit Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe. Während LIPPENMEIER (1971, 1979, 1981, 1982) als Bewährungshelfer in den 60er Jahren eigene Probandengruppen initiierte, später wissenschaftlich begleitete und Aus- und Weiterbildungsangebote durchführte, hat RECKLING (1992, 1997) in seiner 14 jährigen Tätigkeit als Bewährungshelfer  problem- und erlebnisorientiert mit Gruppen  gearbeitet. Aus der wesentlichen Bereicherung der Straffälligenhilfe durch diese Methode, begründet sich die Entwicklung eines Lehrgangs für hessische Bewährungshelfer. Träger wurde das FORUM AHLBERG, eine Fort- und Weiterbildungsstätte in Mariendorf in Nordhessen. Das FORUM AHLBERG verfügt über Erfahrungen in der Durchführung von Lehrgängen und Veranstaltungen zur Gruppenarbeit. So findet unter Leitung von Norbert Lippenmeier seit 10 Jahren eine Fortbildungsveranstaltung für Bewährungshelfer zur Gruppenarbeit statt. Die Geschäftsführerin des FORUM AHLRBERG ist Dorothee Lippenmeier.

In der Phase der Konzeptentwicklung des Lehrgangs trat die vermehrte Gewaltanwendung von Jugendlichen in Zusammenhang mit ausländerfeindlichen Aktionen auf. Das Hessische Ministerium der Justiz hatte zu diesem Themenkomplex zwei landesweite Fortbildungsveranstaltungen für Richter, Staatsanwälte und Sozialarbeiter in der Justiz (u.a. Bewährungshelfer) durchgeführt. Dabei wurde deutlich, daß es von seiten der Jugend- und Sozialarbeit notwendig ist, die gewalttätigen Jugendlichen nicht auszugrenzen, sondern an ihren defizitären Lebenssituationen zu arbeiten, um ihnen eine gesellschaftliche Perspektive zu ermöglichen. Dabei ist auch das  Wertesystem der Bewährungshelfer zu problematisieren, denn für den Umgang mit diesen Jugendlichen ist die Einfühlung in ihre Lebenswelt und Vorstellungen wichtig.

Das FORUM AHLBERG hat im Auftrag des Hessischen Ministerium der Justiz zwei Fortbildungsveranstaltungen für Bewährungshelfer zum Thema: „Gewalt und Rechtsradikalismus bei jugendlichen Straftätern“ im Oktober und November 1994 durchgeführt. Mit den insgesamt 22 Teilnehmern wurde im Herbst 1994 über den Umgang mit gewaltbereiten und rechtsradikalen Jugendlichen und jungen Erwachsenen thematisch gearbeitet. Anhand des Films „Von Beruf Neonazi“ von W. Bonengel sollte eine Einstimmung auf die Ideologie, das Netzwerk und die schließliche Auswirkung auf die potentiellen Anhänger vermittelt werden. Es werde sichtbar, wie es den rechten Führern gelingt, die existentiellen Unsicherheiten der Jugendlichen aufzugreifen und durch „abenteuerbetonte“ Angebote für ihre Ziele einzuspannen. In der Fortbildung wurden die eigenen Erfahrungen der Seminarteilnehmer mit der Sehnsucht nach Abenteuer und Außergewöhnlichem ins Verhältnis gesetzt. Damit sollte deutlich werden: die Abenteuersehnsucht der Jugendlichen kann  nur verstehen, wer sich der eigenen Wünsche und Sehnsüchte bewußt ist. Damit wurde eine Brücke zu einer Pädagogik geschlagen, die das Abenteuer und das Ausprobieren von körperlichen Grenzerfahrungen aufgreift: der  erlebnisorientierten Gruppenarbeit. Damit ist eine Pädagogik gemeint, die begründet und verantwortungsvoll das Erlebnis nutzt, um das Bewußtsein über die eigene Lebenssituation zu fördern. In diesen beiden 3-tägigen Veranstaltungen wurde den Teilnehmern das Lehrgangsmodell für erlebnisorientierte Gruppenarbeit vorgestellt. Der Lehrgang selber sollte 1 Jahr später beginnen.

Das Lehrgangskonzept „Erlebnisorientierte Gruppenarbeit  in der Straffälligenhilfe zur Betreuung gewaltbereiter und rechtsradikaler Jugendlicher“ wurde vom FORUM AHLBERG entwickelt und  dem Hessischen Justizministerium vorgeschlagen. Es erfolgte die Zusage, daß das Ministerium den Lehrgang finanziert und das FORUM AHLBERG mit der Durchführung für hessische Bewährungshelfer beauftragt wird. Im Januar 1995 haben sich schließlich verbindlich 10 Bewährungshelfer für ihre Teilnahme angemeldet.[8]

 

3.2.2 Kompetenzentwicklung der Bewährungshelfer

 

Zu Beginn des Lehrgangs, im September 1995, bestand die Zielsetzung in das Thema der Arbeit mit gewaltbereiten Jugendlichen und der Gruppenarbeit einzuführen. Dabei war es die vordinglichen Aufgabe, die Bildung der Teilnehmergruppe zu einzuleiten. Die Gruppenmitglieder arbeiten großteils an unterschiedlichen Orten Hessens, einige kannten sich aus beruflichen Zusammenhängen. Andere haben sich erstmals im Lehrgang kennengelernt. In der ersten Phase ging es darum, eine arbeitsfähige Grundlage zu schaffen. Das sollte verbunden werden mit einer Bestandsaufnahme der bisherigen Tätigkeit als Bewährungshelfer, der Auseinandersetzung über die soziale Gruppenarbeit und erste praktische Erfahrungen der Gruppenbildung am Ort.

 

 

 

 

3.2.2.1 Erwartungen und Befürchtungen

 

Die erste Lehrgangswoche begann mit der Sammlung von Erwartungen und eventuellen Befürchtungen der Teilnehmer. Zu folgende Äußerungen läßt sich das zusammenfassen:

Bisher haben die Bewährungshelfer keine Erfahrungen mit gewaltbereiten und rechten Jugendlichen.

Gruppenarbeit wird als gute Möglichkeit gesehen, mit den Probanden effektiv  arbeiten zu können; durch die zu erwartende Nähe zum Klientel entstehen aber  auch Bedenken und Angst.

Das gemeinsame Erleben von Gruppenprozessen in der Lehrgangsgruppe wird mit freudiger Spannung erwartet.

Die Ausdehnung des Lehrgangskonzeptes auf andere problematische Jugendliche wird angeregt, da befürchtet wird, nicht genügend Probanden der Deliktgruppe für effektive Gruppenarbeit zur Verfügung zu haben.

 

3.2.2.2 „Vergeßt alle Systeme“ - Einstieg

 

Die sich im August 1995  ereigneten „Chaos-Tage“ in Hannover ermöglichten einen ersten aktuellen Einstieg in die Gewaltfrage und die Gruppenbildung. „Vergeßt alle Systeme“ überschrieb der Spiegel seinen Artikel, der die Widersprüchlichkeit der deutschen Jugend und ihrer Subkulturen beschrieb. W.Heitmeyer wird zitiert, daß Gewalt ein Mittel sei, in dieser Gesellschaft öffentliche Aufmerksamkeit zu gewinnen und somit identitätsstiftend sei. Übergeleitet auf das Arbeitsfeld der Bewährungshelfer stellte sich die Frage, was könne die Bewährungshilfe zur Identitätsfindung beitragen? Die Antwort war nicht ermutigend, denn die Bewährungshilfe biete bisher in dieser Richtung kaum etwas. S ie sei eher inflexibel, selbstbeschränkend und wenig innovativ. Es herrsche die Tendenz vor sich einzurichten und das Risiko der Veränderungen zu meiden. Veränderungen müßten dann meistens gegen den Widerstand der eigenen Kollegen durchgesetzt werden. Richter und Justizministerium dagegen sind häufig  aufgeschlossener.

 

 

3.2.2.3 Umdenken notwendig

 

In der Einführungsphase stand der Umgang mit gewaltbereiten und problematischen Jugendlichen im Mittelpunkt. Von den Veranstaltern wurde der pädagogische Ansatz der „akzeptierenden Jugendarbeit“ nach PILZ (1993) vorgetragen und diskutiert. Die Arbeit mit diesen Jugendlichen bedarf eines Umdenkens, um die Sprachlosigkeit gegenüber unbequemen Jugendlichen überwinden zu können. Dabei sollten die Jugendlichen ermutigt werden ihre Probleme offen zu legen. Hinter den gewalttätigen Aktionen sind in der Regel eigene Unsicherheiten und Ängste zu vermuten. Die Antwort auf die Unsicherheiten sollten nicht mit einer Gegenideologie beantwortet werden, sondern durch den Versuch die Ansichten der Jugendlichen anzuhören und somit ihnen einen Raum zur Aussprache zu geben. Gegen die gesellschaftliche Tendenz der Vereinzelung und Begrenzung der Lebensräume sollte die Jugendarbeit ein Anregungsmilieu für eine Sinnfindung entwickeln und dabei das Bedürfnis nach Körperausdruck realisieren. Erlebisorientierte Angebote würden die Betreuungsarbeit bereichern. Es ist wenig hilfreich die Jugendlichen  nur individuell zu sehen und nicht ihre Bezugsgruppen zu berücksichtigen. Informelle Jugendgruppen sollten anerkannt werden und nicht durch eigene „sinnvolle“ Gruppenangebote ersetzt werden. Akzeptierende Jugendarbeit zeichnet sich gerade dadurch aus, daß bestehende Gruppenansätze aufgegriffen werden.

In der sich anschließenden Diskussion wurde die Schwierigkeit der Umsetzung in der Bewährungshilfe problematisiert, da dieser durch die Kontrollaufgabe Grenzen gesetzt sind. Trotzdem wurde der Ansatz als richtungsweisend für den Zugang zu den Probanden angesehen.

 

3.2.2.4 Exemplarische Biographie

 

Anhand von Dokumenten über das Verfahren gegen die Brandstifter von Mölln haben sich die Lehrgangsteilnehmer exemplarisch mit der Biographie des Angeklagten Lars C. beschäftigt. In 2 Gruppen wurden die Informationen über Familie, Ausbildung, Schule, rechte Szene und Selbsteinschätzung bearbeitet und zusammengetragen. Somit konnten die Gruppenmitglieder ihren Blick aufgrund der exemplarische Sozialisation schärfen und die Fähigkeit entwickeln differenzierter die eigenen Probanden zu betrachten.

 

3.2.2.5 Gruppenverläufe anhand TZI

 

Innerhalb der ersten Seminarwoche haben sich die Teilnehmer mit der Entwicklung von Gruppen beschäftigt. Die Entwicklungsphasen von Gruppen sollten damit transparenter werden, um die eigenen Gruppenerfahrungen besser einordnen zu können und adäquater auf Gruppenkonflikte reagieren zu können.

A. und E. RUBNER (1995) beschreiben die Entwicklung von themenzentrierten Gruppen nach Ruth C. Cohn in bestimmten Phasen. Die Lehrgangsgruppe arbeitete themenzentriert, denn das Thema Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe stand immer im Mittelpunkt. Wie beispielsweise das Kind in bestimmten Entwicklungsschritten sich Fähigkeiten aneignet, so verläuft die Gruppenbildung von Menschen in bestimmten Phasen ab. Wird die Kenntnis dieser Phasen nicht schematisch angewandt, so kann das eine Hilfe sein den Lernprozeß effektiver zu gestalten. Die 5 Entwicklungsphasen einer Gruppe benennen RUBNER folgendermaßen:

1. Orientierung und Abhängigkeit,

2. Kampf und Flucht,

3. Autonomie und Interdependenz,

4. Vertrauen und Intimität,

5. Ablösung und Trennung.

In der „Orientierungs- und Abhängigkeitsphase“ herrscht in der Gruppe Ängstlichkeit vor dem Unbekannten, dem möglichen Entwertetwerden und dem Verlieren der Individualität. Demgegenüber stehen Vorfreude und Neugier auf das Neue und der Wunsch nach Anerkennung und Beachtetwerden. RUBNER  beschreiben: „das Bedürfnis, sich zu öffnen und sich anzunähern, wechselt ab bzw. besteht gleichzeitig neben dem Bedürfnis, sich zu verschließen und zu distanzieren.“

In der Phase „Kampf und Flucht“  besteht der vorherrschende Grundkonflikt zwischen Autonomie und Abhängigkeit. Es ist also der Wunsch bzw. die Angst vom Leiter und der Gruppe abhängig zu bleiben. Es geht somit um Abgrenzung von den Gruppenmitgliedern und dem Leiter. Gleichzeitig geht es auch um Solidarisierung mit diesen. Diese Phase ist geprägt durch aufkommende Kritik an der Leitung oder Gruppenmitgliedern und möglichen Konkurrenz- und Rivalitätskämpfen. Es besteht dabei die Gefahr, daß einzelne die Gruppe verlassen, um vor dem Konflikt zu entfliehen.

In der „Autonomie- und Interdependenzphase“ wird die Aggression neutralisiert und es kommt zu einer realistischeren Sicht der Gruppenmitglieder. Es kommt zu einer vorübergehend „angst- und konfliktfreien Sphäre“, in der alles Negative verdrängt und nach „draußen“ projiziert wird. Es entwickelt sich in der Gruppe ein Zusammengehörigkeitsgefühl, gegenseitige Unterstützung und hohe Aufnahme- und Lernbereitschaft.

In der Phase „Vertrauen und Intimität“ besteht das entwickelte Wir-Gefühl weiter. Es entwickelt sich das Bedürfnis nach Paarbildung und gleichzeitg Bestandteil des Gruppenganzen bleiben zu wollen. Es ist also eine Steigerung der vorherigen Phase mit verstärkter zwischenmenschlicher Kommunikation und gegenseitigem Sich-Offenbaren bzw. Sich-Aufeinanderbeziehen.

Für die „Ablösungs- und Trennungsphase“ sind die Orientierung nach „draußen“, der Transfer und der Abschied bedeutsam. Das gemeinsam Erlebte und Erreichte tritt ins Bewußtsein und bestärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl. RUBNER beschreiben, „in dieser Phasen tritt der alle Phasen durchziehende Grundkonflikt zwischen Abhängigkeit und Autonomie, zwischen Bindung und Trennung noch einmal wie in einem Vergrößerungsglas hervor.“

Damit es für die Bewährungshelfer selber nicht nur theoretisch blieb, wurden von der Lehrgangsleitung Gruppenprozesse initiert, die dann in der Gruppe gemeinsam besprochen und ausgewertet wurden. Somit konnte die Phase der „Orientierung und Abhängigkeit“ bewußter erlebt werden.

 

3.2.2.6 Bestandsaufnahme und Planung der Probandengruppen

 

Im weiteren Schritt haben die  Teilnehmer begonnen ihre Ausgangsbedingungen für die Gruppenarbeit an ihrem Arbeitsort zu beschreiben. Dazu wurden 2 Gruppen gebildet, die auch über die Zeit des Lehrgangs als Supervisionsgruppen zusammenbleiben sollten. Die Gruppenmitglieder konnten sich frei den Supervisoren zuordnen, die vorgaben die Supervisionssitzungen in Kassel und Frankfurt durchzuführen. Eingangs erhielten die Teilnehmer einen Fragebogen, in dem sie sich selber über ihre Ausgangslage, eigene Programmvorstellungen von Gruppenarbeit, Auswahlkriterien, Anknüpfungspunkte, methodisches Verständnis und konkretes Vorgehen Aufzeichnungen machen sollten, die sie dann jeweils in der Gruppe vortrugen und zur Diskussion stellten. Alle Teilnehmer hatten sich schon zuvor über die Möglichkeiten der Gruppenbildung Gedanken gemacht, so daß es möglich war, konkret zu diskutieren. Ausgangspunkt war die persönliche Belastung und die eigenen Vorerfahrungen mit Gruppen. Dabei traten folgende Fragen auf:

Wie schaffe ich das überhaupt alles?

Ein zusätzlicher Abendtermin wird meine Familie belasten. Die ständige Überlastung im Beruf wird schon von der Partnerin nicht akzeptiert, welche Auswirkungen wird die Teilnahme am Lehrgang haben?

Wie gelingt es mir in die Leitungsrolle zu kommen?

Schaffe ich mir durch die Gruppenarbeit neue Freiräume oder noch mehr Arbeit?

Die anderen Arbeitskollegen sind mißtrauisch gegenüber den Teilnehmern am Lehrgang. Wie verhalte ich mich zu der unterstellten Behauptung, ich wolle mich profilieren und strebe einen Aufstieg an?

Wie kann ein „Wir-Gefühl“ unter den Probanden entwickelt werden?

Kann ich an die guten Erfahrungen der Pfadfinderzeit anknüpfen? Wie sind die negativen Erfahrungen während des Studiums  zu  bewertet?

Wie gelingt es mir mit rechtsradikalen Jugendlichen zu arbeiten, die ganz andere Werte haben?

In Gruppen bin ich nicht so aktiv und stehe lieber in der 2. Reihe! Kann ich daran etwas ändern? Oder bin ich für Gruppenarbeit nicht geeignet?

Wie kann die Gruppenleitung übernommen werden, wenn der Gruppenleiter eher das Bedürfnis nach Harmonie hat und nicht konfliktfähig ist?

 

Auch die möglichen Konfliktpunkte mit den Kollegen am Dienstort, z.B. wegen der Nutzung des Sozial- oder Gruppenraumes für Probandentreffen, wurden besprochen.

 

 

3.2.2.7 Lehrgangsanforderungen

 

Schließlich wurden vor Abschluß und Auswertung der ersten Seminarwoche, die Referate verteilt. Die Themen umfassen die Bereiche Gruppenarbeit und Rechtsradikalismus:

Kriminalitätstheorien

Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe

Aussonderungs-Experiment

Erlebnispädagogik

Heitmeyer-Studie

Rockmusik und Rechtsradikalismus

Arbeit mit Gruppen

Es wurde festgelegt, daß die Referate in verschiedenen Kurswochen vorgetragen werden sollten. Thematisch sollten damit die Schwerpunkt des jeweiligen Seminars ergänzt werden. In diesem Zusammenhang wurden die weiteren Anforderungen für das Erlangen des Lehrgangsziels geklärt. Neben dem Vortrag eines Referats, sollten die Fortbildungsteilnehmer eine Zwischen- und eine Endauswertung der Gruppenprozesse vor Ort erstellen. Die Gruppenprozesse sollten insgesamt 30 Sitzungen umfassen. Der Kurs schließt mit einem Kolloquium ab, für das die Teilnehmer ein Thema frei wählen können. Vor dem Lehrgangskreis und einem einzuladenden Fachpublikum sollen die Darstellungen erfolgen. Alle Lehrgangsanforderungen waren von den Bewährungshelfern neben ihrer alltäglichen Bewährungshelfertätigkeit zu erfüllen. Zu den Seminaren und Supervisionen erfolgte eine dienstliche Freistellung. Wie schon bei der Bestandsaufnahme erörtert, bedeutete das für die Teilnehmer eine zusätzliche Belastung.

 

3.2.2.8 Ergebnis dieser Phase:

           „Kompetenzentwicklung der Bewährungshelfer“

 

Die erste Phase der Gruppenbildung und Kompetenzentwicklung fand eine erste umfassende Auseinandersetzung mit Gruppenprozessen und dem gewaltbereiten Klientel statt. Anhand des aktuellen Bezugs - den „Chaos-Tagen“ - wurde über die Bedürfnisse und Orientierungen von Jugendlichen gearbeitet. Die authentische Biographie diente der Einfühlung in junge Gewalttäter. Die Thesen der „akzeptierenden Jugendarbeit“ wurden vorgestellt und mit Einschränkungen als Diskussionsgrundlage für  Probandengruppen angesehen.

Befürchtungen, die Lehrgangsteilnehmer würden durch die Anforderungen der Weiterbildung überfordert, wurden geäußert. Die Arbeitsbelastung durch die  Gruppenarbeit am Ort, die Erarbeitung von Lehrgangspapieren und die Bewältigung des allgemeinen Arbeitsalltages standen dabei im Mittelpunkt der Äußerungen. Dieses Thema wurde generell, aber auch konkret anhand der individuellen Ausgangsbedingungen besprochen.

In den Untergruppen, die sich gleichzeitig als weitere Supervisionsgruppen bildeten, wurden ausführlich die persönlichen Ausgangsbedingungen für die Gruppenarbeit besprochen.

Ein Lehrgangsteilnehmer schied nach dem 1.Seminar aus. Er begründete dies mit seiner persönlichen Überlastung und seinen gesundheitlichen Problemen.

Es fand  noch keine umfassende Gruppenfindung statt. Durch die Bildung der Supervisionsgruppen und die Erörterung der individuellen Ausgangslagen, wurde eher die individuelle Situation angesprochen, als das die Gruppe als Ganzes ins Auge gefaßt wurde. Das war eine weitere Aufgabe der kommenden Seminarwochen. Alle Teilnehmer erklärten das Interesse und die Bereitschaft an ihrem Arbeitsort mit Probandengruppen zu beginnen.

Da sich abzeichnete, daß nur wenige gewaltbereite Probanden von den Bewährungshelfern betreut werden, wurde die Möglichkeit eröffnet auch andere junge Probanden in die Gruppen aufzunehmen.

 

3.2.3 Gruppenbildung mit den Probanden

 

3.2.3.1. Ausgangsbedingungen

 

Die Ausgangsbedingungen der Bewährungshelfer an ihrem Ort mit Gruppenarbeit zu beginnen sind unterschiedlich. Die Bewährungshelfer arbeiten in kleineren und größeren Dienststellen (2  - 10 Mitarbeiter). Sie haben verschiedene Arbeitsbezirke und sind in der Regel für alle Probanden - Jugendliche und Erwachsene - in ihrem Bezirk zuständig.

Die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen  lassen sich zu folgenden Faktoren zusammenfassen:

Die Bewährungshelfer sind für unterschiedliche Bezirke zuständig, die Auswirkungen auf die Erreichbarkeit der Probanden haben. So ist es bei Stadtbezirken leichter möglich, die Probanden zu Gruppenterminen einzuladen und davon auszugehen, daß sie diese ohne größeren Fahrtaufwand erreichen. Bei ländlichen Bezirken ist das anders, teilweise liegen die Wohnorte der Probanden und die Büros der Bewährungshelfer bis zu 30 km voneinander entfernt. Eine weitere Schwierigkeit stellt die Suche nach einem geeigneten Gruppenraum dar. Viele Bewährungshelfer nutzen die Räumlichkeiten der Bewährungshilfe-Büros, was bei Landbezirken nicht mehr möglich ist. Es muß dann auf andere Institutionen zurückgegriffen werden. Das kann auch von Vorteil sein, denn diese Räumlichkeiten haben  einen neutraleren Charakter als die Dienstbüros. Trotzdem muß berücksichtigt werden, daß diese Räumlichkeiten organisiert und entsprechende Vorbereitungen getroffen werden müssen. Die An- und Abfahrt für die Probanden kann wegen schlechter Nahverkehrsverbindungen und mangelnder eigener Fahrtmöglichkeiten mit erheblichen Problemen verbunden sein. Einige Bewährungshelfer holten deshalb ihre Probanden zu den Gruppenterminen ab und brachten sie auch wieder zurück.

Die Unterstellung erfolgt in allen Bezirken nach einem Geschäftsverteilungsplan, der meistens eine Zuständigkeit nach Wohnorten und manchmal auch nach dem Alphabet regelt. Eine Geschäftsverteilung nach Deliktgruppen war bisher nicht vorgesehen. Damit kann vorkommen, daß beispielsweise keine gewaltbereiten Jugendlichen in einem Bezirk vorkommen. Veränderungen der Geschäftsverteilung bedürfen der Zustimmung der Kollegen und des Präsidenten des Landgerichts.

Die Unterstellungszahl von Jugendlichen ist in den vergangenen Jahren erheblich zurückgegangen, hängt von den örtlichen Gerichten ab und ist ebenso abhängig von der beschriebenen Zufälligkeit der Unterstellungen. Die statistischen Zahlen der LAG Hessen[9] belegen das: Während noch  1984  28.5 % aller Probanden Jugendliche waren, sind es  1996  nur noch 15,2 %.

Die persönlichen Voraussetzungen der Lehrgangsteilnehmer sind unterschiedlich. Durch eigene positive Gruppenerfahrungen steigt die Überzeugungskraft und die Probanden können eher motiviert werden. Eine Gruppe zu leiten und sich zu behaupten, erfordert andere Anforderungen an den Bewährungshelfer, als im Einzelgespräch in seinem Büro die Sprechstunde abzuhalten.

Bisher sind in der Bewährungshilfe wenige gewaltbereite und rechtsradikale Jugendliche vorgekommen. Wenn es sich um solche Jugendlichen handelt, so treten diese nicht offensiv auf, sondern „verstecken“ eher ihre Ansichten.

 

Exemplarisch beschreibe ich die Gruppenbildung an drei verschiedenen Orten Hessens.

 

3.2.3.2 Gruppenbildung in A.

 

T. arbeitet in einer Kleinstadt als Bewährungshelferin. Die Gruppenarbeit macht sie gemeinsam mit einem Kollegen, der über Gruppenerfahrungen in der Bewährungshilfe verfügt. Er nimmt nicht an dem Lehrgang teil, ist aber Mitglied der Fortbildungsgruppe, die sich schon seit Jahren mit Gruppenarbeit beschäftigt. T. war es wichtig einen erfahrenen Kollegen zur Seite zu haben. Beide Bewährungshelfer haben zur ersten Sitzung insgesamt 10 Probanden eingeladen. Die Probanden sollten nicht älter als 23 Jahre alt sein. Eine weitere Vorgabe war, daß die Gruppentreffen abends stattfinden sollten.

Zur ersten Sitzung sind 4 Teilnehmer gekommen. T. hatte die Gesprächsführung übernommen. Sie berichtete, daß es ihr  wie ein Stein im Magen lag, für den Gruppenverlauf die Verantwortung zu übernehmen. In der Probandengruppe wurde das zukünftige Vorgehen besprochen. Die Gruppe vereinbarte, daß über die Inhalte der Gespräche Verschwiegenheit herrschen soll. Einige Probanden wünschten sich einen pünktlichen Beginn, eine regelmäßige Teilnahme und eine Vergrößerung der Gruppe. Ein Proband schlug als Thema „Gewalt in A.“ vor. Ein anderer wollte eher „Phantasie-Games“ spielen. Die erste Verabredung war: wöchentliche Treffen und ein zusätzlicher Samstagstermin. So wurde auch schließlich verfahren. Es war schwierig eine kontinuierliche Teilnahme der Probanden zu erreichen. Probanden erschienen häufig nicht, oder kamen unregelmäßig. Die Bewährungshelfer haben immer wieder nachgehakt, daß die Teilnehmer den nächsten Termin nicht vergessen. Die Samstagsveranstaltung begannen sie mit einer kreativen Arbeitseinheit. Nach einem gemeinsamen Gespräch bereiteten sie zusammen das Mittagessen vor. Abschließend spielten sie ein Gesellschaftsspiel.

 

3.2.3.3 Gruppenbildung in B.

 

B. ist eine Kleinstadt im Rhein-Main-Gebiet im Einzuggebiet von Frankfurt mit hohem Ausländeranteil. N. ist für diesen Ort als Bewährungshelfer zuständig und hält dort regelmäßig eine Sprechstunde ab. Für ihn war es von Beginn des Lehrgangs klar, daß er sein Gruppenangebot auf ausländische Jugendliche (Nordafrikaner und Türken) ausdehnen will. Diese finden kaum Anknüpfungspunkte zur Identitätsfindung (Ausländer 2. Generation) und sind durch Körperverletzungsdelikte gerichtlich in Erscheinung getreten. N. wollte eher eine Gesprächsgruppe mit den Probanden bilden und zusätzlich Erlebnisaktivitäten durchführen. Die Gruppe leitete er alleine.

Auf die erste Einladung erschienen 6 Teilnehmer. Zum 2.Termin hatte N. eine „Fallbesprechung“ vorbereitet. Ein authentisches Urteil hat er vorgelesen. Es ging dabei um eine schwere Körperverletzung - also ein Delikt, das die Gruppenmitglieder aus eigener Sicht kannten. Die Probanden reagierten mit einer Diskussionsverweigerung und Ankündigung die Gruppe verlassen zu wollen. Zu den folgenden 2 Sitzungen kommen die Probanden auch nicht (außer 1 Teilnehmer zum Schwimmen). Erschwerend kommt die Terminwahl hinzu: vor Weihnachten bzw. vor Neujahr! Durch Nachhaken kommen schließlich wieder 4 Probanden, die sich aber durch Inaktivität verweigerten. Der Vorschlag ein Hallenfußballspiel zu organisieren wurde mit Interesse aufgegriffen und durchgeführt.

 

3.2.3.4 Gruppenbildung in C.

 

K. und S. nehmen beide am Lehrgang teil und bildeten eine gemeinsame Gruppe in der Kleinstadt C.. Sie erhofften sich durch das gemeinsame Vorgehen, daß die Auswahl und Erreichbarkeit der Probanden steigen würde. Die Altersgruppe von 17 - 21 Jahre haben sie ausgewählt. Die Übernahme möglicher Gruppenkosten für Aktivitäten sagte ein örtlicher Verein für Straffälligenhilfe zu. Beide sind sie für unterschiedliche Bezirke zuständig, die weit auseinander liegen, so daß die meisten  Probanden nach C. nur unter Einsatz erheblichem Fahrtaufwandes gelangen konnten. Die Bewährungshelfer hatten deshalb einen Fahrdienst eingerichtet.

Zum ersten vereinbarten Treffen kam nur 1 Proband. Nach direkter Ansprache der potentiellen Teilnehmer waren es schließlich 4 feste Gruppenmitglieder, von denen aber meistens einer fehlte. An einem Spiele-Abend spielten sie „Trivial persiuse“. Die Fragen des Spiels stellten sich aber als zu schwer heraus. Sie wandelten das Spiel ab, in dem sie sich gegenseitig halfen und das Spiel lustig gestalteten. Die Gesprächstermine wurden durch gemeinsame Aktivitäten ergänzt, so gingen sie auf eine Cart-Bahn und kochten gemeinsam ein Essen. Später wollten sie dann mit der Gruppe Gewaltfragen besprechen.

 

 

 

3.2.3.5 Gruppenbildung an weiteren Orten

 

An weiteren 5 Orten Hessens wurden Gruppen von den Lehrgangsteilnehmern mit Probanden initiiert. Dabei wurden verschiedene Ansätze praktiziert:

in D. (Kleinstadt) hat die Bewährungshelferin M. eine Arbeitslosengruppe gebildet. Neben dem Gespräch über die Arbeitslosigkeit, fand ein gemeinsamer Besuch im Berufsinformationszentrum und beim Berufsberater des Arbeitsamtes statt.

in E. (Kleinstadt) hat die Bewährungshelferin D. wegen Gewaltdelikten verurteilte Probanden in einer Gruppe zusammengeschlossen. Es kamen 4 Teilnehmer zusammen, die sich 14-tägig vormittags im Büro der Bewährungshelferin trafen. Sie trafen die  Absprachen, daß die Informationen aus den Gruppengesprächen vertraulich behandelt werden und eine verbindliche Teilnahme erwartet wird. Das Thema Gewalt wurde durch anschauliche Schilderungen eines Probanden verstärkt. Neben dem vorherrschenden Gruppengespräch sollten Aktivitäten außerhalb der Räume der Bewährungshilfe stattfinden.

in E. (Mittelstadt) hat der Bewährungshelfer X. in seinem Büro am späten Nachmittag ein Gruppe durchgeführt. Dabei versuchte der Bewährungshelfer auf Probleme und Schwierigkeiten der Probanden einzugehen, die Durchführung von Freizeitaktivitäten ließ er offen.

in F. (Kleinstadt) hat der Bewährungshelfer T. in dem Gruppenraum einer kirchlichen Einrichtung eine Gruppe für bis 28 Jahre alte Probanden durchgeführt. Verschiedene Themen der Lebenswelt der Probanden sollte besprochen werden. Daneben fanden der Besuch in einem Billardcafe, gemeinsames Pizzaessen und eine Kanutour statt.

in G. (Großstadt) hat der Bewährungshelfer V. in den Gruppenraum der Bewährungshilfe seine Probanden eingeladen.

 

3.2.3.6 Ergebnis der Phase: „Gruppenbildung mit den Probanden“

 

Alle Lehrgangsteilnehmer haben mit der Gruppenbildung nach dem 1. Seminar begonnen. An 8 verschiedenen Orten von Süd- bis Nordhessen sind neue Probandengruppen entstanden. Dieser Beginn ist erfolgversprechend.

Die Bewährungshelfer machten ihre ersten Erfahrungen. Die Supervisionsgruppen haben ihre Arbeit aufgenommen und einen Ort geboten, bei dem die Bewährungshelfer ihre Fragen und unterschiedlichen Herangehensweisen besprechen konnten. Während N. beispielsweise die Probanden sofort mit ihren  Delikten konfrontierte, haben S. und K. eher versucht zu Beginn der Gruppe die Interessen der Probanden zu berücksichtigen. Beide Vorgehen waren mit Schwierigkeiten verbunden. In N.’s Gruppe verweigerten die Probanden erst einmal die Mitarbeit. Scheinbar fühlten sich die Probanden zurückgewiesen und es konnte sich kein Vertrauensverhältnis entwickeln. Erst bei den sportlichen Angeboten, war die Bereitschaft zur Mitarbeit größer. Auch der Versuch von S. und K. auf die Bedürfnisse der Probanden einzugehen war nicht mit Erfolg gekrönt, da es nicht gelang die Probanden zu motivieren. Es zeigte sich, daß ein differenziertes Vorgehen in der Probandengruppe notwendig war, was in der Supervision als Reflexionsebene bearbeitet werden mußte.

Auch die 2. Seminarwoche diente der Reflexion der Gruppenerfahrungen. So wurden die Themen besprochen:

Umgang mit der Verbindlichkeit in Gruppen (pünktlicher Beginn / regelmäßige Teilnahme)?

Wie kann Themenbezug und Erlebnisorientierung zusammengebracht werden?

Wie können die indirekten Probleme in der Gruppe bearbeitet werden?

Was ist mit den eigenen Erwartungen an die Gruppenarbeit?

Die Gruppenfindung unter der Bewährungshelferguppe schritt voran. Die Vorbereitung der gemeinsamen Erlebnisaktivität hat vielen Bewährungshelfern eine positive Perspektive gewiesen. Später stellte sich heraus, daß ein Bewährungshelfer diese Aktivität nicht mittragen wollte und aus dem Lehrgang ausschied. Das war auch verbunden mit einer Kritik am Lehrgangskonzept und der Supervisionspraxis. Es traten somit in der Gruppe Machtkämpfe statt, die mit Kritik an der Leitung verbunden waren. RUBNER (1995) hat die 2. Entwicklungsphase von Gruppen mit „Kampf und Flucht“ bezeichnet; diese Tendenzen konnten man in der Lehrgangsgruppe wiederfinden.

Die anfängliche Einschätzung hatte sich erhärtet, daß es nicht genügend gewaltbereite und rechtsgerichtete Probanden gibt. So wurde diese Vorgabe  aufgehoben und das Konzept ausgedehnt auf eine Gruppenmischung von Probanden, die verschiedenen Deliktgruppen zugeordnet werden können. Auch die Altersbegrenzung war nicht durchzuhalten, so daß die meisten Gruppen aus einer Mischung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen sich bildeten.

 

 

3.2.4 Selbsterfahrung und Zwischenauswertung

 

Das Lehrgangskonzept sieht vor, daß die Teilnehmer ihre Kompetenzen in erlebnisorientierter Gruppenarbeit erweitern. Gerade „das eigene Erfahren von exemplarischen Situationen in der Lehrgangsgruppe dient der Kompetenzsteigerung, mit gruppendynamischen Prozessen in Probandengruppen umzugehen“[10]. Es wird damit eine Verbindung zwischen dem eigenen Gruppenverhalten und der Fähigkeit Gruppen zu leiten hergestellt. Das kann aber nicht theoretisch - durch Referate und Vorträge - erfolgen, sondern muß selber als Person erfahren werden.

Damit die Bewährungshelfer ihre eigene „Gruppenfähigkeit“ erfahren können, wurde das 3.Seminar erlebnisorientiert durchgeführt. Als Veranstaltungsort wurde der Süden Frankreichs gewählt. In einer gering besiedelten Gegend, war die Gruppe der Bewährungshelfer auf sich gestellt und mußte sich in einer fremden Umgebung zurechtfinden. Die Selbsterfahrung stand im Zentrum des 3.Seminars. Die bisherigen Ergebnisse der Gruppenarbeit mit den Probanden, die die Bewährungshelfer in Form einer schriftlichen Zwischenauswertung erstellten, wurde bearbeitet. Die Teilnehmer hatten dazu je einen schriftlichen Bericht verfaßt. Darüber hinaus waren von Teilnehmern Referate zur „Erlebnispädagogik“ und zur „Geschichte der Gruppenarbeit“ vorbereitet.

 

 

3.2.4.1 Zwischenauswertung der Probandengruppen

 

Die Teilnehmer hatten vor dem Seminar ihren ersten Gruppenprozeß (Zwischenauswertung) mit Probandengruppen schriftlich analysiert und allen Gruppenmitgliedern des Lehrgangs zugeschickt. Zu Beginn des Seminars hat sich die Gruppe geteilt. Es bildeten sich 2 Kleingruppen, in denen die schriftlich erstellten Zwischenauswertungen der Probandengruppen bearbeitet wurden. Exemplarisch will ich auf die Gruppen aus A und C  eingehen.

 

3.2.4.1.1 Gruppenthema: Gewalt in A.

 

Für T. war es wichtig einen erfahrenen Kollegen zur Seite zu haben.  Sie hat in der schriftlich verfaßten Zwischenauswertung biographische Daten eines Gruppenteilnehmers darstellt. Der Jugendliche hatte vom Jugendrichter die Weisung erhalten einem Sport- bzw. gemeinnützigen Verein beizutreten. In der Anfangsphase der Gruppe in A. wurden für die weiteren Treffen Themen gesammelt, die u.a. enthielten:

Gewalt in A.,

Drogenabhängigkeit, Sucht - warum?,

Arbeit, Wohnen - wie meine Ansprüche sind und wie sie verwirklicht werden können,

Zwang, Eigenverantwortlichkeit, Entscheidungen.

Die Themen wurden in den Gruppensitzungen besprochen. Zum Thema „Gewalt in A.“ wurde ein Samstagstermin vereinbart. Dabei starteten sie mit Malen zum Thema „Wut / Ärger / Aggression“. Dem schloß sich ein Gespräch an und anschließend wurde gemeinsam gekocht. Am nächsten Gruppenabend zeigt S. den Teilnehmern den Film „Jung und böse“. Es handelt sich dabei um einen Film von Ulrich Leinweber, der die Lust an der Gewalt beschreibt. Dabei werden Jugendliche beim Autocrashfahren gefilmt und befragt, wie es ihnen dabei gehe. In der Gruppe von T. war dies Ausgangspunkt über die alltägliche Gewalt in der Kleinstadt zu sprechen. Es stellt sich aber auch heraus, daß ein vorstrukturiertes und geplantes Gespräch über bestimmte Themen nur bedingt stattfinden konnte. Zum einem bedarf es der Gewöhnung der Probanden, sich an einer geregelte Diskussion zu beteiligen. Zum anderen haben ständige Veränderungen der Gruppenzusammensetzung und  unerwartetes Fehlen die Kontinuität beeinträchtigt. Hilfreich war die Möglichkeit sich über das Geschehen in der Gruppe mit dem Kollegen auszutauschen. Es haben schließlich 21 Veranstaltungen über einen Zeitraum von 8 Monaten stattgefunden, die großteils gesprächsorientiert waren. Daneben fanden auch gemeinsame Aktivitäten statt. Es fanden ein Grillabend,  eine Kegel- und Billardveranstaltung statt. Der Grillabend war gleichzeitig die Abschlußveranstaltung, auf der um eine Rückmeldung zu den vergangenen Gruppensitzungen gebeten wurde. Neben der Äußerung, daß „es war ja ganz lustig“, wurde die Unzuverlässigkeit der Teilnehmer angesprochen. Dabei erzählte ein Teilnehmer von dem praktizierten Punktesystem bei einem sozialen Trainingskurs. Für die Teilnahme bekommt man Punkte; wenn man nicht genügend Punkte erreicht, erhält man die notwendige Teilnahmebescheinigung nicht. Dieser Vorschlag ist nur für die Probanden anwendbar, die an der Gruppe aufgrund einer Weisung teilnehmen. Oder die Bewährungshelfer ändern das ganze Betreuungssystem, in dem sie von sich aus die Teilnahme an der Gruppe als Verpflichtung deklarieren. Von T. wurde das nicht so praktiziert. In T.’s Gruppe war es nur ein Teilnehmer, der aufgrund der richterlichen Weisung teilnahm, die anderen taten dies aufgrund der allgemeinen Unterstellung unter den Bewährungshelfer.

Für T. wurde bei diesen Gruppenerfahrungen  deutlich, daß es ihr mehr Spaß mache, freizeitorientierte Aktivitäten durchzuführen.

 

3.2.4.1.2 Die Schwierigkeit Probanden in C. zu mobilisieren

 

Die Bewährungshelfer M. und S. hatten große Schwierigkeiten Probanden zu den Gruppensitzungen zu mobilisieren. Als Ursache für die unzureichende Teilnahme benannten sie die räumliche Entfernung der potentiellen Gruppenmitglieder. An den durchgeführten 13 Sitzungen nahmen zwischen 0 und 4 Probanden teil. Dabei wurden einerseits Gespräche über Lebensfragen geführt, aber auch Aktivitäten, wie Spieleabend und Cartbahn-Besuch durchgeführt. Auf den langen Heimfahrten, die die Bewährungshelfer mangels öffentlicher Verkehrsmittel durchführten, fanden sehr angeregte Gespräche statt, die weit über die normalen Gesprächskontakte in der Sprechstunde hinausgingen. Es ist aber nicht gelungen die  einzelnen Teilnehmer zu einem Gruppenbewußtsein zu führen. Dafür ist das Ausfallen der geplanten Abschlußfahrt symptomatisch. Sie wurde wegen mangelnder Teilnehmer abgesagt. Bei dem dann doch nicht durchgeführten Abschlußabend äußerten die Probanden, daß sie sich gewünscht hätten persönlicher angesprochen zu werden. Sie wollten nicht nur Briefe erhalten, sondern angerufen, besucht bzw. die private Telefonnummer des Bewährungshelfer zur Verfügung haben. Eigentlich wollten sie an der Abschlußfahrt teilnehmen, aber sie hätten es „verpennt“ rechtzeitig das Geld zu überweisen. Als Problem wurde von ihnen benannt die lange Anfahrt, die viel Energie kostete. 2 Probanden machten gerade den Führerschein und führten daher an, nicht genug Zeit für die Gruppentreffen zu haben.

Für die beiden Bewährungshelfer entstand daraus das Fazit, daß sie Gruppenangebote näher an den Wohnorten der Probanden machen wollen. Somit wollen sie getrennte Gruppenarbeit durchführen.

 

3.2.4.1.3 Zwischenergebnis der weiteren Probandengruppen

 

Weitere 6 Gruppen wurden von den Lehrgangsteilnehmern parallel durchgeführt. Alle Gruppen hatten einen Umfang von ca. 15 Veranstaltungen, wobei das Gruppengespräch im Vordergrund stand und Aktivitäten außerhalb der Gruppenräume eingeschränkt durchgeführt wurden. Die Erfahrungen wurden jeweils in einem schriftlichen Zwischenbericht festgehalten.

 

3.2.4.2  Selbsterfahrung durch „in die Fremde gehen“

 

Bei der Anreise mußten 1200 km zurückgelegt werden, die mit eigenen Fahrzeugen erfolgte. Dazu hatten sich Fahrgemeinschaften gebildet. Die Gruppe war in einem alten Bauernhaus untergebracht. Neben einfachster Einrichtung, mußten sich die Teilnehmer selber verpflegen. Für jeden Tag wurde ein „Kochpaar“ gebildet. Einkauf erfolgte von den Köchen oder gemeinschaftlich. Abhängig von der Selbstinitiative gab es morgens frisches Baguette und Croissants.

Nach der Bearbeitung der Zwischenauswertungen fand eine Kanutour mit Canadiern auf einem kleinen Fluß statt, dem sich eine 2 tägige Wanderung anschloß. Dazu wurde vom FORUM AHLBERG (1996) als Seminarvorbereitung  ausgeführt:

„Die 3.Kurswoche wollen wir dem Motto widmen: In die Fremde gehen. Das Fremde hat etwas Verlockendes und gleichzeitig Beunruhigendes und Beängstigendes. Bei den rechtsradikalen Jugendlichen überwiegt das Beängstigende durch das Fremde, was sie zu fremdenfeindlichen Aktionen veranlaßt. Das Fremde ist das Unbekannte in der Umwelt und in einem Selbst. Mit der Veranstaltung in Frankreich wollen wir uns gemeinsam auf den Weg begeben: Auf einem Pilgerweg das Fremde in Frankreich erwandern und dabei sich selbst durch das Ungewohnte erkennen. Dementsprechend soll diese Woche die Selbsterfahrung fördern.

Auf dem mittelalterlichen Jakobsweg, der sich auf verschiedenen Pfaden von Mitteleuropa durch Frankreich nach Santiago de Compostella in Nordspanien zieht, liefen früher Hunderttausende von Pilgern. Neben religiösen Motiven spielten damals im Mittelalter schon Gründe, wie der Reiz der Fremde und des Abenteuers eine  Bedeutung. ‘Der Mensch begibt sich in die Fremde, um sich zu vergegenwärtigen, daß auch sein Leben, die Zeitspanne zwischen Geburt und Tod, eine Peregrinatio (=Aufenthalt in der Fremde) ist’[11].

Eine Variante des Jakobsweges, die ‘via podensis’, führt durch  unserem Aufenthaltsort.“[12]

Auf diesem Weg ist die Gruppe  30 km gewandert und hat zwei Nächte in einfachen Pilgerherbergen (Matratzenlager) genächtigt. Dabei mußte sich die Gruppe ebenfalls selbstversorgen.

Diese Aktivität schloß mit einer Einschätzung der eigenen Gruppenkompetenz und der Rückmeldung der anderen Gruppenmitglieder ab. Jeder sollte sich selber einschätzen zu den Fragen:

Wie gruppenfähig bin ich?

Was gelingt mir gut, was nicht so? Wo liegt mein Lernbedarf?

Wie verhalte ich mich bei Konflikten? Ordne ich mich ein, schaue ich auf die gesamte Gruppe oder Teile? Stehe ich mit meinen Bedürfnissen im Mittelpunkt? Werde ich zum Motor oder Bremse der Gruppe?

Schließlich sollten die anderen Gruppenmitglieder jeweils eine Rückmeldung geben, wie sie unter diesen Kriterien den anderen wahrgenommen haben. Es sollte dabei nicht um Zensuren gehen und abschließende Urteile, sondern um Mitteilungen, um sich selber besser einschätzen zu können.

Die erlebnispädagogische Aktivität hat die Selbsterfahrung der Teilnehmer herausgefordert. Die körperliche Anstrengung auf der Kanutour und der  Wanderung hat Grenzen aufgezeigt, Schwächen und Stärken einzelner Gruppenmitglieder. Die gemeinsame Tagesgestaltung, mit Selbstverpflegung und Organisation hat die Fähigkeit in Gruppen sich zurecht zu finden und dabei Kompetenzen und Defizite zu erfahren gefördert. Die Selbst- und Fremdwahrnehmungsrunde hat schließlich dazu geführt, daß die Einschätzung der einzelnen angesprochen wurde. Auch wenn sich noch eine Tendenz zur Schonung der anderen Gruppenmitglieder zeigte, so kamen doch wichtige Aspekte zur Sprache. So hatten einige sich positiv dazu geäußert, daß auf einzelne Kollegen besonderer Verlaß besteht und sie sich z.B. vorstellen könnten mit jenem auf einer einsamen Insel zu sein. Das unterschiedliche Lauftempo führte zur Kritik an den schnelleren, die häufiger auf die anderen hätten warten sollen. Einige wurden wegen ihrer schlechten Ausrüstung kritisiert, was seine Auswirkungen auf das Vorankommen der Gruppe bei der Wanderung hatte. Andere Gruppenmitglieder, die sich bisher zurückhielten, gingen aus sich heraus und wurden wichtige und verläßliche Partner.

 

3.2.4.3 Ergebnis der Phase: „Selbsterfahrung und Zwischenauswertung“

 

Die Selbsterfahrung in der 3.Seminar-Woche war ein einschneidendes Ereignis der Lehrgangsgruppe. Dieses positive Gruppenerlebnis hat die Beziehungen der Teilnehmer untereinander vertieft. Es wurde ein großer Schritt in Richtung einer kritischen Offenheit getan, der es bei der Umsetzung in Probandengruppen ermöglichen wird authentischer arbeiten zu können. Die Bewährungshelfer haben sich selber als Gruppenmitglied erfahren, ihre Schwächen und Stärken erfahren können.

Die Erfahrungen wurden durch theoretische Exkurse zur Erlebnispädagogik und der Geschichte der Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe verstärkt.

Die Bestandsaufnahme der eigenen Gruppenarbeit führte zu einer Bewertung der bisherigen Gruppenarbeit der Teilnehmer. Nach dem ersten Gruppendurchlauf  zeigte sich, daß die Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe eine praktizierbare Alternative zur Betreuung der Probanden darstellt. Es ist offensichtlich, daß weitere Erfahrungen gesammelt werden müssen, um die Gruppenangebote auf solide Grundlagen zu stellen.

Nach den ersten Erfolgen in den eigenen Gruppen und des Verlaufs der Erlebnisaktivitäten besteht nun die Möglichkeit für die Teilnehmer diese Erkenntnisse in einem eigenen Konzept umzusetzen. Dabei sollten die individuellen und gemeinsamen Erfahrungen berücksichtigt werden.

 

3.2.5 Eigenes Gruppenkonzept  entwickeln

 

Zu Beginn des 4.Seminars haben die Teilnehmer des Lehrgangs sich zu den sie berührenden Fragen geäußert. Diese Themensammlung spiegelt den Entwicklungsstand und die subjektive Sicht der eigenen Gruppenarbeit wieder. Die Bewährungshelfer entwickeln mit fortlaufender Praxis ihr eigenes Gruppenkonzept. Auch hier werde ich wieder beispielhaft Konzepte herausgreifen. Von Bedeutung ist in dieser Phase auch der Gruppenabschluß. Um den Gruppenprozeß abzurunden, sollte der Gruppenleiter den richtigen Zeitpunkt wählen, um den Abschluß der Gruppe einzuleiten.

 

3.2.5.1 Themensammlung

 

Die Bewährungshelfer haben zu Beginn des 4.Seminars die Themen benannt, die ihnen für die Weiterarbeit wichtig sind. Ein  Aspekt, der immer wieder auftaucht, ist die Frage der Gesprächsführung und Themenentwicklung. Dabei geht es um das Selbstverständnis des Gruppenleiters, welchen Anspruch er hat die Gesprächsleitung in der Gruppe zu steuern, zu erkennen, wo wichtige Themen vertieft werden können und wo vor unbequemen Themen ausgewichen wird. Eine Bewährungshelferin äußerte ihre Angst bei den Probanden zu große Erwartungen zu wecken, die sie nicht erfüllen könne und wolle. Dabei ist sie sich aber unsicher, was diese eigentlich wollten und ob sie nicht ihre eigenen Vorstellungen überbewerte. Der Proband ist für die Bewährungshelfer ein „unbekanntes Wesen“.

Diese Erkenntnis ist von großer Bedeutung, denn dadurch ist der Weg frei, sich intensiver einzulassen, zuzuhören und verstehen zu versuchen. Einem anderen Bewährungshelfer ist es gelungen mit den Probanden persönliche Ziele festzulegen, um so die Verantwortlichkeit bei diesen zu lassen. Auch die Themen, wie Vertraulichkeit des Gespräches und was wird in den Bericht an das Gericht über die Ergebnisse der Gruppengespräche geschrieben waren von Bedeutung. Die hohe zeitliche Belastung, die durch die abendlichen Termine für Gruppenveranstaltungen entsteht, ist für eine Bewährungshelferin bedeutsam. Ein Bewährungshelfer hatte seinem eigenem Gefühl nach ein vertrauensvolles Verhältnis zu einem Gruppenmitglied, aber dann geschah etwas außergewöhnliches bei dem Probanden, woraufhin er  den Kontakt abbrach. Dies empfand der Bewährungshelfer, wie den „Todesstoß“ für die Beziehung. Die eigene Verletzlichkeit wird durch die Gruppenarbeit größer, denn die Gefühle und Verhalten der Probanden sind den Bewährungshelfern näher.

 

3.2.5.2. Entwicklung des eigenen Gruppenkonzeptes

 

Beispielhaft werde ich die Entwicklung der Gruppenkonzepte von den Bewährungshelfern in A., C. und K.  darstellen.

 

3.2.5.2.1 Von der gemeinsamen Gruppe zur eigenständigen        

              Gruppenleitung

 

Die Bewährungshelferin T. hat in A. zusammen mit dem Kollegen nach einem ersten Gruppendurchlauf  einen weiteren Gruppenprozeß durchgeführt. Auf die bisherigen Erfahrungen habe sie aufgebaut, neben früheren Gruppenmitgliedern neue hinzugezogen. Die Sitzungen haben nun wöchentlich stattgefunden, um intensiver und kontinuierlicher mit den Probanden zu arbeiten. Eine Kooperation mit dem Jugendrichter hat stattgefunden, der teilweise die Gruppenteilnahme als Weisung für die jungen Probanden festlegte. Die im ersten Gruppendurchlauf bemängelte Fluktuation hat nun nachgelassen. Die Probanden kamen zuverlässiger, was dafür spricht, daß es einer bestimmten Kontinuität bedarf, bevor ein neues Angebot angenommen wird. Nach Abschluß dieses Gruppenprozesses hat T. die Chance genutzt eine Gruppe eigenständig zu leiten. Sie nutzte damit die Möglichkeit die Beratung und Supervision des Lehrgangs für ihre Weiterentwicklung in Anspruch zu nehmen. Sie hat ehemals im Maßregelvollzug untergebrachte Probanden zu einer Tagesveranstaltung eingeladen. Diese Probanden wurden durch Gerichtsbeschluß wegen Drogen- oder Alkoholmißbrauchs in einem Psychiatrischen Krankenhaus untergebracht und nach einer gewissen Zeit zur Bewährung entlassen. Während der Unterbringung wurden sie in Gruppen betreut und haben daher Gruppenerfahrungen. Die Tagesveranstaltung hat sie zusammen mit einer Praktikantin vorbereitet. Zum ersten Termin - einem Samstag - kamen 4 Probanden. Durch die Vorerfahrungen der Probanden waren sie an Gruppenabläufe gewöhnt, so daß sie neben der persönlichen Vorstellung auch auf individuelle Fragen und Probleme eingingen, die besprochen werden konnten. Gemeinsam wurde ein Mittagessen gekocht und gegessen. Zum Abschluß haben sie die nächste Veranstaltung geplant. Sie wollen zusammen grillen. Von Seiten der Probanden wird das Grillen mit der Erwartung des Alkoholgenusses verbunden, während die Bewährungshelferin die Befürchtung hat, daß dies zu Problemen bei den suchtgefährdeten Probanden führen kann.

Das eigene Konzept für T. ist bestimmt noch nicht ganz entwickelt, aber es zeichnet sich ab, daß sie

eine Mischung aus gesprächs- und freizeitorientierter Gruppenarbeit bevorzugt,

Tagesveranstaltung eher in ihr persönliches Konzept passen, als regelmäßige abendliche Veranstaltungen,

die eigene Kompetenz in der Gruppenleitung weiterentwickeln will.

 

3.2.5.2.2 Nach Mißerfolgen in der Gruppenbildung zur

              Erlebniswanderung

 

Der Bewährungshelfer M. hatte zusammen mit seinem Kollegen S. eine Gruppe in C. durchgeführt. Der Erfolg war aber begrenzt, denn die Unzuverlässigkeit der Probanden war groß, was auch auf die sehr weiten Fahrtstrecken zurückzuführen war. M. wollte nun den Rest der Gruppe alleine zusammenführen, was nicht gelang. Auch weitere Bemühungen in einem anderen Ort eine Frühstücksgruppe für Arbeitslose aufzubauen, scheiterte. Schließlich hat er ein Wanderprojekt mit einem Kollegen durchgeführt. Zusammen haben sie mit einer Gruppe geplant auf dem historischen Pilgerweg, dem „Jakobsweg“[13] in Franken über 5 Tage ca. 80 km zu wandern. Es handelte sich um eine rein erlebnisorientierte Aktivität., bei der die Probanden an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit herangeführt werden sollten und dabei die Möglichkeit zur Reflexion der eigenen Lebenssituation eröffnet werden sollte. Die Gruppenmitglieder kannten sich zuvor nicht und trafen sich erstmals zu Beginn der Wanderung. Vorbereitet war sie durch umfangreiche Beschäftigung der Gruppenleiter mit der „Jakobsweg“-Problematik, einer genauen Festlegung der Wanderstrecke und jeweilige Anschreiben an die Kirchengemeinden mit der Bitte ein Übernachtungsquartier (Matratzenlager) zur Verfügung zu stellen. Die Teilnehmer wurden von den Gruppenleitern nach den Kriterien: keine akute Suchtabhängigkeit, Altersgruppe 23-30 Jahre, Wanderbereitschaft, Bereitschaft auf etwas Ungewisses sich einzulassen, ausgewählt. Die Wanderung verlief  erfolgreich. Die vorgenommene Strecke wurde zurückgelegt, einige Ungewißheiten konnten überwunden werden und die Teilnehmer waren motiviert sich auf den Gruppenprozeß einzulassen. Die Besprechung des Gruppengeschehens wurde durch eine Tagebuchführung verstärkt. Jeden Tag schrieb einer der Probanden seine Eindrücke des Tages nieder und verlaß diese am Abend. Dadurch konnten aufgetretene Probleme des Tages und besondere Ereignisse besprochen werden. Dabei wurde der Beitrag des Einzelnen für die Gruppe, wie Essensbereitung und Abwaschbereitschaft, von der ganzen Gruppe bewertet. Ähnlich der Selbsterfahrungsaktivität der Lehrgangsgruppe. Nach erfolgreichen Abschluß der Wanderung am 5. Tag, verabredeten die Gruppenmitglieder sich für ein weiteres Tagestreffen an einem Samstag - was mit dem Zurücklegen einer Fahrtstrecken von über 100 km verbunden ist. Für das Gruppenkonzept von M. bedeutet das, daß er

gesprächsorientierte Gruppenarbeit für ihn nicht möglich gewesen, dagegen

erlebnisorientierte Aktivitäten erfolgversprechender sind.

Diese können zur Bearbeitung des individuellen Verhaltens im Gruppenzusammenhang genutzt werden und haben für die Teilnehmer somit einen hohen Selbsterfahrungswert.

 

3.2.5.2.3 Übertragung von speziellen Lernprozessen auf die

              Gruppenarbeit

 

S. hat nach der gemeinsamen Erfahrung der Gruppe mit M., mit einem Praktikanten eine Gruppe begonnen. Diesmal finden die Gruppentreffen näher am Wohnort  der Probanden in K. statt. Zur 1.Sitzung kamen 6 Probanden, in den folgenden etwas weniger. Anfangs hat er mit  den Gruppenmitgliedern über ihre persönlichen Ziele gearbeitet. Die Probanden sollten auf einem Papier schriftlich ihre persönlichen Ziele notieren und in einem Umschlag verschließen. Sie wurden nicht vorgelesen oder diskutiert. Auf die notierten Ziele will er zu einem späteren Zeitpunkt eingehen. Er will damit erreichen, daß die Probanden sich ihrer Ziele bewußt zu werden und diese immer wieder reflektieren. Dabei sollen Themen, die an der Lebenssituation der Probanden sich bewegen, besprochen werden. So vertieften sie, die bei einigen Teilnehmern bestehende Drogenproblematik. Er bezieht dabei seine Erfahrungen aus dem „Neulinguistischen Programmieren“ (NLP) mit ein, worin er eine Ausbildung machte. Für das Gruppenkonzept von L. bedeutet das:

Gruppenbildung näher am Wohnort der Probanden,

gesprächsorientierte Gruppe in Verbindung mit Bearbeitung der persönlichen Ziele der Probanden,

Anwendung spezieller Kenntnisse in der Gruppenarbeit.

 

3.2.5.3 Gruppenabschluß

 

Für die Teilnehmer des Lehrgangs endet die Weiterbildung mit dem 5. Seminar. Sie werden dann ihre gewonnenen Erfahrungen umsetzen. Um einen Abschluß zu erreichen, der den Lernprozeß abrundet, ist es notwendig, sich mit dieser Problematik  zu beschäftigen. Das bedeutet für die Probandengruppe ebenso einen runden Abschluß zu finden, damit sie hinterher mit dem Erfahrenen konstruktiv umgehen können.

Zum Gruppenabschluß mit der Probandengruppe hat sich die Lehrgangsgruppe im 4.Seminar beschäftigt.

Bevor der Gruppenabschluß eingeleitet wird, sollte der Gruppenleiter mit der Eigenreflexion beginnen. Was war dem Gruppenleiter einfach, was war schwer? Wo lagen die eigenen Fallstricke?  Nachdem dies beantwortet ist,  sollte die Abschlußphase als eine deutlich zu unterscheidende von den anderen Aktivitäten des Gruppenprozesses betrachtet werden. Es muß ein Abschiednehmen in Gang kommen, was sowohl inhaltliche Aspekte, als auch Beziehungsfragen beinhalten sollte. Es ist die Aufgabe des Gruppenleiters die Abschlußphase bewußt zu begleiten und zu führen. Dabei sollten alle Gruppenmitglieder beteiligt werden. In den letzten 2 - 3 Sitzungen des Gruppenprozesses sollten Themen besprochen werden, die noch offen geblieben sind und die noch für notwendig erachtet werden zur Abrundung des Gruppenprozesses. Unbearbeitete wichtige Gruppenthemen, nicht geklärte Konflikte zwischen Gruppenmitgliedern oder -leiter, sollten besprochen werden, wobei der Gruppenleiter von der Gesamtschau des Gruppenprozesses entscheiden muß, welche Themen vorrangig behandelt werden müssen. Das Abrunden auf inhaltlicher Ebene sollte dabei ebenso beachtet werden, wie das auf der Beziehungsebene. Die Fragen, was passiert, wenn die Gruppe sich nicht mehr trifft? und wie geht es nach der Gruppe für jeden einzelnen weiter? sollten thematisiert werden. Abschließend sollte eine Abrundung  durch die Teilnehmer und den Gruppenleiter erfolgen. Dabei sollte sich jeder äußern. Der Gruppenleiter sollte dabei seine Leitungsrolle zum Tragen bringen, in dem er einerseits allen Teilnehmern Gehör verschafft und bestimmte Äußerungen bestärkt bzw. korrigiert.

 

3.2.5.4 Ergebnis der Phase: „Eigenes Gruppenkonzept entwickeln

 

Die Teilnehmer des Lehrgangs haben durch die Entfaltung der eigenen Gruppenpraxis, die begleitende Beratung in den Seminaren und der Supervision ihre eigenen Stärken und Schwächen eher in den Blick nehmen können. Durch die Erfolge und Rückschläge bei der ersten Gruppenbildung haben die Bewährungshelfer gelernt wie sie mit Gruppen umgehen können. Es zeigt sich, daß es dabei ein breites Spektrum von gesprächs- oder problemorientierter Gruppenarbeit bis zu erlebnisorientierten Angeboten entfaltet wurde. Im Verlauf des Lehrgangs wurden mehr erlebnispädagogische Aktivitäten durchgeführt. Bemerkenswert sind die Kooperationen unter Bewährungshelfern, die sich beispielsweise zu Wanderungen und Kanutouren gemeinsam mit Probandengruppen trafen. 

Es fand teilweise auch eine Vermischungen von Stilen statt, so bei den Gesprächsgruppen, die Erlebnisaktivitäten in den Gruppenprozeß einbauten. Der Prozeß der Entwicklung des eigenen Gruppenkonzeptes ist eingeleitet, aber selbstverständlich nicht abgeschlossen. 

Deutlich wird, daß die Gruppenarbeit eine große Arbeitsdisziplin erfordert, um mit den  Probanden immer wieder das Gespräch zu suchen. Es bedarf einer Kontinuität des Angebots, das dieses von den Probanden auch geachtet und angenommen werden kann. Schließlich sind die Lehrgangsanforderungen neben der alltäglichen Tätigkeit als Bewährungshelfer eine starke Belastung.  Erfahrungen, daß nur wenige Probanden in die Gruppe kamen, Probanden die Diskussion verweigerten oder Verabredungen nicht eingehalten wurden, waren schmerzlich für den Betroffenen, aber sie boten  die Chance, daraus zu lernen. Rückschläge sind notwendig, denn sie prägen den Gruppenleiter in seiner Sensibilität auf die Probleme der Probanden eingehen zu können und ein adäquates Angebot zu entfalten.

Insgesamt hat diese Phase zu einer Stabilisierung der Lehrgangsteilnehmer geführt. Sie haben ihre eigenen Kompetenzen einbringen können und sind sicherer im Umgang mit Probandengruppen geworden.

Die Gruppenarbeit in Hessen wird durch die vielfältigen Aktivitäten bereichert.

Im 2. Jahr des Lehrgangs wurden weitere 9 Gruppen gebildet. 

 

3.3 Betreuung gewaltbereiter Jugendlicher mit der

      pädagogischen Methode der Gruppenarbeit

 

Die Konzeption des Lehrgangs ging davon aus, daß die Bewährungshelfer in Hessen in der Betreuung von gewaltbereiten und rechtsgerichteten Probanden sich qualifizieren und dabei die Methode der Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe lernen anzuwenden. In der Lehrgangsausschreibung hat das FORUM AHLBERG (1994) diese Bereiche inhaltlich verknüpft: „Eine orientierungs- und perspektivlose Jugend läßt in den letzten Jahren zunehmend Gewaltbereitschaft, Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalismus erkennen. ...SozialarbeiterInnen in der ambulanten und stationären Straffälligenhilfe werden mit diesem Verhalten ihres Klientels konfrontiert. ...Sie sind in der Regel keine Einzeltäter, sie suchen Rückhalt und Heimat in der Gruppe. Diese Suche ist bei den entsprechenden sozialpädagogischen Maßnahmen zu berücksichtigen und gruppenmäßige Betreuung zu entwickeln.“[14] In diesem Abschnitt soll die Verwirklichung dieses Anspruchs in der praktischen Lehrgangsumsetzung untersucht werden.

 

3.3.1 Vorbereitung auf den Umgang mit gewaltbereiten

         Probanden

 

Das Lehrgangskonzept sieht die Auseinandersetzung mit verschiedenen Themenbereichen des Rechtsradikalismus vor. Dabei wurde für jedes Seminar ein ausgewähltes Thema bearbeitet. Die Seminare fanden in einem halbjährigen Rhythmus statt. Die Themenbearbeitung erfolgte entweder durch Eingaben der Lehrgangsleitung oder Referate der teilnehmenden Bewährungshelfer:

Organisation, Ideologie und Vorgehen der rechtsradikalen Gruppen - exemplarische Beschäftigung mit dem Film „Von Beruf Neonazi“ (Vorseminar)

Jugend, Gewalt und Rechtsradikalismus (1.Seminar),

Exemplarische Beschäftigung mit der Biographie der Brandstifter von Mölln (1.Seminar),

Ausländerfeindlichkeit und Gruppenverhalten - das Aussonderungsex-periment in Münster (2.Seminar),

Gewaltbereitschaft in Jugendszenen und der eigene Umgang mit Aggression und Angst (2.Seminar),

Rockmusik und Rechtsradikalismus (4.Seminar),

Heitmeyer-Studie zu fremdenfeindlichen Aktivitäten (4.Seminar),

Rechtsradikalismus in Beziehung zu Kooperation und Kommunikation - Gruppenarbeit versus Führerprinzip (5.Seminar).

Durch die Themenvielfalt und die Intensität der Bearbeitung war gewährleistet, daß die Bewährungshelfer sich ausgiebig mit der Thematik der Betreuung gewaltbereiter Jugendlicher beschäftigten. Die Beschäftigung blieb aber auf einer theoretischen Ebene, da kaum Probanden in die Gruppen der Bewährungshelfer kamen, die zu dem rechtsgerichteten Tätermilieu gehörten. Es sind insgesamt nur wenige Probanden den Bewährungshelfern unterstellt worden, die wegen rechtsgerichteter Gewalttaten von den Gerichten verurteilt wurden. Es sind auch noch einige inhaftiert, die nach der Haftentlassung voraussichtlich dann unter Bewährung gestellt werden- also eine Aufgabe, die auf die Bewährungshelfer zukommen wird.  Festzustellen ist, daß es eine untergründige Rechtstendenz bei Probanden gibt. Diese Tendenz wird aber nicht durch offensichtliche Straftaten deutlich, sondern es handelt sich eher um verdeckte Meinungsäußerungen. Auch bei den Gerichten ist zunehmend festzustellen, daß politische Zusammenhänge nicht vertieft werden und  somit keinen Zugang zu den Begründungen der Gerichtsurteile finden. Insoweit ist diese Thematik des Lehrgangs eine Vorbereitung auf kommende Anforderungen. Gleichzeitig aber auch ein exemplarisches Lernfeld, um sich der Lebenswelt der Probanden inhaltlich zu nähern.

 

3.3.2 Vorbereitung auf die Praktizierung von erlebnisorientierter

         Gruppenarbeit

 

Die verschiedenen Themen der Gruppenarbeit traten immer wieder in den Seminarwochen des Lehrgangs und in den Supervisionssitzungen auf. In den Seminaren wurden ebenfalls ausgewählte Themen bearbeitet. Diese erfolgten einerseits durch Eingaben der Lehrgangsleiter und andererseits durch Referate der Lehrgangsteilnehmer. In den 2 Jahren wurden folgende Themen bearbeitet:

Grundlagen der Gruppenarbeit, praktische Gruppenarbeit und Auswertung von Gruppenübungen (1.Seminar),

Ist-Analyse und Planung eigener Gruppenarbeit der Lehrgangsteilnehmer (1.Seminar),

Gesprächsführung (2.Seminar),

Kriminalitätstheorien (2.Seminar),

Geschichte der Gruppenarbeit in der Bundesrepublik Deutschland und Hessen (2.Seminar und 3.Seminar),

Theorie der Erlebnispädagogik (3.Seminar),

Arbeit mit Gruppen - „Wie die Gruppe laufen lernt“ (4.Seminar),

Gruppenabschluß (4.Seminar).

Über diese Themen hinaus, wurde in jedem Seminar der Stand der Arbeit mit den Probandengruppen und sich daraus ergebene Fragestellungen bearbeitet.  Die Besprechung der aktuellen Situation in den Probandengruppen stand immer im Mittelpunkt der Supervision, wobei die Anteile der Bewährungshelfer am Gelingen des Gruppenprozesses herausgearbeitet wurden.

Von allen Lehrgangsteilnehmern wurden mehrere Probandengruppen gebildet und über einen längeren Zeitraum durchgeführt.

 

3.3.3 Fazit

 

Die schon zu Beginn des Lehrgangs sich abzeichnende Schwierigkeit, daß nicht genügend rechtsradikale und gewaltbereite Jugendliche in der Bewährungshilfe betreut werden, hat nicht zu einer Vernachlässigung dieses Themas geführt. Es wurden die Hintergründen des Verhaltens der gewaltbereiten Täter herausgearbeitet. Diese intensive Beschäftigung mit den Motiven und Erklärungsversuchen für ihr delinquentes Verhalten, wurde exemplarisch verwandt, um es auch auf die anderen Probanden der Bewährungshilfe übertragen zu können.

In erster Linie sollte der Lehrgang die hessischen Bewährungshelfer befähigen, die Methode der Gruppenarbeit in ihrem Arbeitsfeld anzuwenden. In zweiter Linie ging es um das angesprochene Klientel, das nur in geringem Umfang in Hessen strafrechtlich in Erscheinung tritt. Es scheint auch daran zu liegen, daß dieses Problem im Westen nicht so bedeutsam ist, wie in den östlichen Bundesländern.

Der Erfolg des Projektes liegt nun gerade in der praktischen Beweisführung, daß Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe eine sinnvolle und der Problematik der Straffälligen angemessene Methode ist. Sie hat ihren berechtigten Platz in der Bewährungshilfe.

 

3.4 Gruppenarbeit ist eine adäquate Methode der Bewährungshilfe

 

Die verschiedenen Erfahrungen, die mit der Gruppenarbeit gemacht wurden, beweisen die Effektivität dieser Methode.

 

3.4.1 Grundüberlegungen

 

Die Adressaten der Gruppenarbeit sind durch delinquentes Verhalten aufgefallen. Die Probanden haben in der Regel Sozialisationsdefizite erfahren. Die Gruppenarbeit ermöglicht Defizite deutlich zu machen und eine Nachsozialisation zu bewirken. Dabei geht es um eine bessere Anpassung der Gruppenteilnehmer an ihr soziales Umfeld und der Entwicklung sozialen Verantwortungsgefühls. Das geschieht in der soziale Gruppenarbeit durch Gruppengespräche über Lebensfragen und Problembereiche der Gruppenmitglieder.

In der Bewährungshilfe ist eine differenzierte Diagnostik und Betreuung der Probanden notwendig. Diese Weiterentwicklung der Bewährungshilfe wurde bisher vernachlässigt. Es gab in der Vergangenheit immer wieder Ansätze dies in Angriff zu nehmen, aber diese blieben Einzelinitiativen und konnten sich nicht langfristig durchsetzen. Die traditionelle Betreuungsform der Einzelfallhilfe wird nicht mehr hinterfragt und auf ihre Wirksamkeit überprüft. Vielmehr ist die Einzelfallhilfe scheinbar zur Ideologie erstarrt und bestärkt den Trend die Verwaltungsaufgaben zu perfektionieren und dabei die Person des Straffälligen nicht in seiner ganzen Persönlichkeit wahrzunehmen. Die Tendenz die Verwaltung weiter auszuprägen, entspricht einer allgemeinen organisationsspezifischen Gesetzmäßigkeit. Dies gilt es zu durchbrechen.

In der Vergangenheit haben sich Praktiker und Theoretiker mit der Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe beschäftigt und die Chance durch diese Methode die Straffälligenarbeit qualitativ weiterzubringen überzeugend beschrieben. „Problemorientierte Gruppenarbeit wird im Rahmen von Bewährungshilfe als besonders geeigneter Ansatz zur Lösung personaler und sozialer Probleme von Straffälligen angesehen“, betonen LIPPENMEIER und SAGEBIEL (1982).

In der Gruppe ergeben sich Chancen für das Nachholen fehlender Lernprozesse. Im Vordergrund des Gruppenprozesses steht die Selbstöffnung und Selbstauseinandersetzung der einzelnen Mitglieder, sowie die Möglichkeit der Auseinandersetzung und Konfrontation unter den verschiedenen Mitgliedern. Die Gruppe kann zum Medium werden, wo die Mitglieder sich selbst untereinander stützen und positiv bestärken können.

In der Gruppenarbeit haben die Mitglieder weniger Möglichkeit, sich dem Geschehen zu entziehen, die Gruppensituation wird als etwas wahrgenommen, wo der Einzelne etwas zum Gelingen beiträgt und die von jedem Einzelnen abhängig ist. Es kann dadurch ein neues Bewußtsein entstehen, in dem die Gruppenmitglieder erfahren, daß ihr Handeln einen wichtiger Beitrag zum Gelingen der Gruppengemeinschaft beiträgt. Die interpersonelle Beziehung wird in den Mittelpunkt gerückt, man kann nach neuen und befriedigenderen Arten von Beziehungen suchen. Das Lernen in der Gruppe wirkt sich schließlich auf die Beziehungen zum sozialen Umfeld  aus.

 

3.4.2 Äußerungen der beteiligten Probanden

 

Es gibt keine Dokumentation wie die Probanden die Arbeitsweise der Bewährungshelfer bewerten. Auch von den Lehrgangsteilnehmern gibt es in dem schriftlichen Material nur wenige Hinweise. So äußerten die Probanden der Gruppe in A. als Rückmeldung auf die vergangenen Abende: „na ja, es war ja ganz lustig“. An anderer Stelle des Berichtes wurden die Äußerungen der Probanden dahingehend gewertet, daß ihnen freizeitpädagogische Aktivitäten eher lagen. Dies zeigte sich auch in der höheren Akzeptanz, die sich in der größeren Teilnehmerzahl wiederspiegelte.

Es gibt natürlich immer wieder Äußerungen der Probanden, die aber nicht dokumentiert wurden.

Von einer anderen erlebnispädagogischen Aktivität eines Bewährungshelfers in Hessen liegt ein umfangreiches Interview von beteiligten Probanden vor. Dieses Interview wurde von der Studentin S.VOLK (1997)[15] durchgeführt. Die interviewten Probanden beziehen sich auf eine im Jahr 1996 im Ausland veranstaltete einwöchige Wanderung. Auf die Frage der Interviewerin, warum sie an der Aktivität teilnahmen, sagte ein Teilnehmer, daß er „nur mal dem Alltag zu entfliehen“ wollte. „Das ist halt irgendwie was anderes, wenn man so mit der Natur verbunden ist, es gibt kein Alltag, es gibt nix, es gibt kein Telefon, es gibt kein Briefkasten, wo ein Brief kommt auf dem irgend ein Problem draufsteht.“ Auf die sich anschließende Frage, welche Erfahrungen er denn mit nach Hause in den Alltag nehmen könne, antwortet der gleiche Proband: „Die Verpflichtung irgendwie. Und dann halt auch morgens das Aufstehen, da kann das net sein, daß irgendeiner morgens zwei Stunden länger schläft. Es müssen alle da sein und das Aufstehen war schon ein bissel Verpflichtung. Hät man das halt net so gemacht, dann hät man das auch irgendwie net sehen können und das hab ich mir danach irgendwie in den Alltag mit rein genommen. Ich hatte mir vorher halt das Ziel gesetzt mir in der Reise alles, meine ganzen Probleme durch den Kopf gehen zu lassen und mal alles aus mir raus zu lassen irgendwie. Und dann hab ich halt dadurch gelernt, daß es wichtig ist, wenn man abends etwas plant, dann zu planen, wann ich früh morgens dann aufstehen muß. Wenn ich bis elf oder zwölf im Bett lieg, brauch ich mich net zu wundern, wenn ich keine Arbeit krieg.“ Deutlich wird, daß für den Probanden wichtig war, dem Alltag zu entfliehen, aber doch übertragbare Erfahrungen in den Alltag wieder mitzunehmen. Dabei spricht der Proband ein zentrales Thema an: die Arbeitslosigkeit. Er stellt sie in Zusammenhang mit der eigenen Haltung. Wenn er den Tag verschlafe, so könne ja nichts daraus werden, sagt er sehr anschaulich. Auf das Verhältnis zum Bewährungshelfer angesprochen, äußert er: „da dachte ich auch, daß ist wie beim Arbeitsamt, wo du alle drei Wochen hingehen mußt, damit die ihr Kreuzchen machen können.“ Ein anderer Teilnehmer betont, daß er durch die Aktivität seine Probleme deutlicher gesehen hat. Man sieht das Problem, ne und läuft nicht daran vorbei, wenn man da einmal oder zweimal im Monat zum Bewährungshelfer geht, da geht man schon mit nem Hals hin. Äh - muß ich wieder da hin und äh - das ist nur Gelaber und da sitzt man ne viertel- oder ne halbe Stunde da, kriegt Fragen gestellt, die beantwortet man, geht raus und das wars. Das Problem ist aber nicht erkannt.“ Sehr anschaulich wird deutlich, daß es für die Probanden häufig ein uneffektives Gespräch ist, was in der Einzelfallhilfe stattfindet. Es wird als Pflichtübung angesehen und somit ist die Veränderungsmöglichkeit sehr gering. Ist dagegen die Eigenmotivation gegeben, so ist auch die Bereitschaft da, die Probleme anzusehen und an Veränderungen zu denken. Ein Proband  äußert die Schwierigkeit sich die normale Gesellschaft einzugliedern. „Jeder hat sich irgendwie ein Ziel gesteckt. Ich denke daran liegt das auch, daß wir alle durch die Bank weg einen Job jetzt in diesem Jahr gefunden haben. Ich denke mal ... die Fahrt hat viel bewirkt bei jedem, also jeder hat irgendwie gelernt, ich muß was tun, so geht es einfach nicht, daß ich alles auf mich zukommen lasse und sowas. Und man hat halt dort ein gewisses Pflichtbewußtsein gelernt.“ Auch wenn nicht in allen Fällen zu erwarten ist, daß die Probanden so motiviert sind und einen Job finden, so drückt diese Äußerung doch eine positive Tendenz aus. Die Probanden können ihre Probleme realistischer betrachten und können durch die erfahrene Gruppenaktivität ihre Probleme anzugehen.

 

3.4.3 Weitere Verankerung der Gruppenarbeit

 

Durch den Lehrgang sind umfassende Erfahrungen in der Bewährungshilfe gesammelt worden, die ausgewertet und fachlich begleitet wurden. Die begonne Verankerung der Gruppenarbeit muß fortgesetzt werden, wenn sie im gerade aufgehendem Keim nicht ersticken soll. Die bisherigen Erfahrungen sind noch zu gering, daß schon von einer Stabilisierung gesprochen werden kann. Sollte die Möglichkeit der weiteren fachlichen Reflexion für die Teilnehmer des Lehrgangs nicht mehr möglich sein, so steht zu befürchten, daß die Gruppenarbeit keine Fortsetzung findet. Es bedarf einer Kontinuität des Fortbildungsangebots, um diese Methode zu verankern. Darüber hinaus müssen Schritte zur Institutionalisierung der Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe unternommen werden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

4 Schlußbetrachtung und Perspektive

 

4.1 Verlauf des Projektes

 

In diesem Kapitel werde ich die Ergebnisse der einzelnen Phasen des Lehrgangsverlaufs zusammenfassen und die Zusammenstellung auswerten. Zuerst nehme ich bezug auf die Phasen, die ich beim Projektverlauf beschrieben habe: Kompetenzentwicklung der Bewährungshelfer, Gruppenbildung mit den Probanden, Selbsterfahrung und Zwischenauswertung und Eigenes Gruppenkonzepte entwickeln. Nach einer  Zusammenfassung der Phasen, werde ich den Verlauf des Lehrgangs unter bestimmten Fragestellungen auswerten. Abschließend werde ich auf die Problematik der Perspektive der Gruppenarbeit in der hessischen Bewährungshilfe  und dabei auf die Initiative  von hessischen Bewährungshelfern eingehen, die die Gruppenarbeit institutionalisieren wollen.

 

4.1.1 Zusammenfassung der Ergebnisse der Phasen des Projektverlaufs

 

In der 1. Phase Gruppenbildung und Kompetenzentwicklung haben sich die Bewährungshelfer in dem Lehrgang mit den Hintergründen und sozialpychologischen Erklärungsversuchen für Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen auseinandergesetzt. Das geschah vorwiegend theoretisch. Eigene Erfahrungen waren noch nicht vorhanden.

Es zeichnete sich schon das Problem ab, daß es bisher nur  wenige Probanden in der Bewährungshilfe gibt, die aufgrund von Gewalttätigkeit und Rechtsradikalismus verurteilt wurden. Die Diskussionen mit den Lehrgangsteilnehmern eröffneten eine Ausdehnung auch auf andere jugendliche Probanden, damit Gruppen zustande kommen konnten.

Es wurden die sozialpädagogische Elemente der „akzeptierenden Jugendarbeit“ vorgestellt und als eine adäquate Antwort auf die Herausforderungen durch Gewaltbereitschaft und Rechtsradikalismus angesehen. Das ist in soweit bemerkenswert, da die  Praxis der Bewährungshelfer durch die Kontrollfunktion geprägt ist, die bei der „akzeptierenden Jugendarbeit“ eine untergeordnete Rolle spielt.

Die Bewährungshelfer  beklagten ihre Arbeitsüberlastung, die sich durch die Anforderung des Lehrgangs noch verstärken würde. Trotz dieser Bedenken, erklärten alle Lehrgangsteilnehmer, daß sie mit der Gruppenarbeit vor Ort beginnen würden. Die Erstellung der schriftlichen Auswertungen und Referate wurden vereinbart. Ein Teilnehmer hat nach dem 1. Seminar ist wegen persönlicher Überlastung aus dem Lehrgang ausgeschieden.

In Untergruppen - die späteren Supervisionsgruppen - wurden die individuellen Arbeitssituationen besprochen. Es zeichnete sich eine positive Grundstimmung zur Aufnahme der örtlichen Gruppenarbeit ab.

Die Gruppenfindung der Bewährungshelfer untereinander fand erst in  Ansätzen statt. Durch die Bildung der Untergruppen / Supervisionsgruppen konnten die Teilnehmer dieser Gruppen sich näher kennenlernen, aber im Mittelpunkt stand doch noch mehr die Konzentration auf die eigene individuelle Ausgangslage.

 

In der 2. Phase Gruppenbildung mit den Probanden wurden erste Erfahrungen mit der örtlichen Gruppenarbeit gemacht. Innerhalb kurzer Zeit bildeten die Bewährungshelfer an 8 verschiedenen Orten jeweils Probandengruppen. Das geschah mit unterschiedlichem Erfolg. Dabei traten häufig Schwierigkeiten auf, die Probanden zu motivieren und ein eigenes Arbeitskonzept zu entwickeln. Ermutigend war, daß einige Probanden sofort zu interessieren waren und sich an der Gruppenbildung aktiv beteiligten.

Es wurde nun ganz deutlich, daß es keine ausreichende Anzahl von gewaltbereiten und rechtsradikalen Probanden gibt, die in Probandengruppen integriert werden konnten. Die Festlegung auf die spezielle Deliktgruppe wurde aufgehoben.

Durch die begonnene Supervision und die weitere 2. Seminarwoche schritt die Gruppenfindung unter den Teilnehmern voran. Es zeichnete sich aber ab, daß eine starke Fixierung auf die Supervisionsgruppen erfolgte und die Gesamtgruppe noch im Hintergrund stand.

Nach der 2. Seminarwoche meldete sich ein weiterer Teilnehmer mit verschiedenen Begründungen vom Lehrgang ab. Auch für ihn war die persönliche Belastung zu groß. Er kritisierte die Durchführung einer Supervisionsgruppe und beklagte die mangelnde finanzielle Unterstützung des Lehrgangs durch das Justizministerium.

 

In der 3. Phase Selbsterfahrung und Zwischenauswertung wurden die Ergebnisse des ersten Gruppendurchlaufs besprochen. Die Teilnehmer hatten dazu schriftliche Berichte erstellt. Insgesamt zeigte sich dadurch ein positives Ergebnis, denn allen Teilnehmern gelang es trotz Schwierigkeiten Probandengruppen zu bilden. Es folgte ein reger Austausch über die gemachten Erfahrungen. Erfolge und Mißerfolge wurden in Untergruppen bearbeitet. Die Bewährungshelfer konnten damit belegen, daß es möglich ist neben der tradierten Einzelfallhilfe die alternative Betreuungsform zu entwickeln.

Neben der Bestandsaufnahme der örtlichen Gruppenarbeit, fand in der 3. Seminarwoche eine umfangreiche Selbsterfahrungsaktivität statt. Diese hat die Gruppenfindung der Bewährungshelfer entscheidend vorangebracht. Die Gruppenbildung unter allen Lehrgangsteilnehmern intensivierte sich, so daß nicht mehr die bisher vorherrschende Aufteilung in die bestehenden Supervisionsgruppen stattfand.  Die gesamte Gruppe wurde offener was die Darstellung der eigenen Person und der eigenen beruflichen Praxis betrifft. Es zeigte sich gerade, daß in der angewandten Erlebnispädagogik eine starke Kraft steckt, die die Gruppenmitglieder zusammenzuführte. Es bestätigten sich dabei die Thesen zur Erlebnispädagogik, daß „die Gruppenbildung  beschleunigt und intensiviert wird“.

Die Erfahrung in der Lehrgangsgruppe ermöglichte den Bewährungshelfern eine Übertragung in die konkrete örtliche Gruppenpraxis mit den Probanden. Dadurch bestand auch die Möglichkeit, daß die Bewährungshelfer ihre Kompetenzen ausweiten, um mutiger mit verschiedenen Formen der Gruppenarbeit umzugehen.

 

In der 4. Phase wurde ein großer Schritt zum Eigenen Gruppenkonzept entwickeln getan. Bestärkt durch die eigenen Gruppenerfahrungen in der Lehrgangsgruppe wurden vielfältige Formen der Gruppenarbeit angewandt. Es wurden mehr erlebnisorientierte Aktivitäten mit Probanden entwickelt. Bemerkenswert sind auch Kooperationen unter Bewährungshelfern, die sich zu Kanutouren und Wanderungen gemeinsam mit Probandengruppen trafen.

Die Lehrgangsgruppe hat sich nach der Auslandsfahrt weiter stabilisiert.

Die Bewährungshelfer verstehen diesen Arbeitsansatz  auch als Veränderung gegenüber den Probanden und dem eigenen Arbeitsstil. Der Proband bleibt nicht mehr das „unbekannte Wesen“, sie nehmen ihre Arbeit ernster und fordern die Verbindlichkeit von den Probanden ein. Somit bildet sich in der Bewährungshilfe eine innovative Arbeitsform, die Veränderungen in der Arbeit mit den Straffälligen zur Folge hat. Es entwickelt sich mehr Nähe und intensivere Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit problematischen Verhaltensweisen der Probanden, die Ursachen für delinquentes Verhalten sein können.

 

4.1.2 Phasenauswertung

 

Die beschriebenen Phasen werde ich nun unter übergreifenden  Gesichtspunkten auswerten. Von Interesse dabei ist für mich die Entwicklung der Bewährungshelfergruppe in dem Lehrgang und die Probandengruppen an den einzelnen Orten. Darüber hinaus will ich  kurz auf die Fragen eingehen, welche  Bedeutung die positive Bestärkung der Gruppenmitglieder für ihre weitere Arbeit hat und mich mit der Perspektive für die Gruppenarbeit beschäftigen.

 

Die Entwicklung der Bewährungshelfergruppe verlief so, wie auch allgemein Gruppen sind entwickeln. A. und E. RUBNER  (1995) beschreiben die Entwicklung von themenzentrieten Gruppen in den Phasen 1. Orientierung und Abhängigkeit, 2. Kampf und Flucht, 3. Autonomie und Interdependenz, 4. Vertrauen und Intimität und 5. Ablösung und Trennung. Eine Anwendung auf die Lehrgangsgruppe führt zu folgendem Ergebnis:

1. In der „Orientierungs- und Abhängigkeitsphase“ hatten die Bewährungshelfer sich unsicher gefühlt,  Thema und Fakten standen im Mittelpunkt des Gruppengeschehens, unter den Gruppenmitgliedern bestand ein Schwanken zwischen Annäherung und Zurückhaltung.

2. „Kampf und Flucht“ war geprägt durch aufkommende Kritik an der Überlastung und von einem Bewährungshelfer die Kritik am Verlauf der Supervision. Diese Kritiken waren auch beherrscht von vereinzelten Konkurrenz- und Rivalitätskämpfen, die sich bezüglich der Supervision auch als Machtkampf zwischen Gruppenmitglied und -leiter entwickelte. Die Gefahr des Absprungs von Teilnehmern, wurde durch das Ausscheiden von 2 Bewährungshelfern Realität.

3. „Autonomie und Interdependenz“ zeichneten sich durch Zusammenhalt, gegenseitige Unterstützung und hohe Aufnahme- und Lernbereitschaft aus. Dieser Moment war im 3. Seminar mit der Zwischenauswertung und der Gruppenerlebnisaktivität eingetreten. Dabei hatte die Erlebnispädagogik eine wichtige Rolle gespielt. Die gemeinsame Gruppenaktivität hatte den Zusammenhalt der Bewährungshelfergruppe wesentlich gefördert. Es traten in der Gruppe ein Vertrautheits- und Zusammengehörigkeitsgefühl ein. Dabei spielte auch die Offenlegung der eigenen Gruppenaktivitäten mit den Probanden in Form der Zwischenauswertung eine wesentliche Rolle.

4. „Vertrauen und Intimität“ wurde durch eine Steigerung der 3.Phase erreicht. Es traten verstärkt zwischenmenschliche Kommunikation auf, mit einem gegenseitigen Sich-Offenbaren und Sich-Aufeinanderbeziehen. Die Lehrgangsgruppe hatte diese Phase im 4. Seminar und in der Vorbereitung des Kolloquiums entwickelt. Die Teilnehmer trafen sich auch außerhalb des Lehrgangs, es fanden Absprachen und teilweise gemeinsame Vorbereitungen über die Themengestaltung des Kolloquium statt. Das Zusammengehörigkeitsgefühl war gestiegen.

5. Die Phase der „Ablösung und Trennung“ war eingeleitet durch die thematische Einführung des „Gruppenabschlusses“ in der 4.Seminarwoche und die auslaufende Supervision. Auch die Vorbereitungen auf die letzte Seminarwoche, die im September 97 stattfinden wird, weisen in diese Richtung. In dieser Phase sind die Orientierung nach „draußen“, der Transfer und der Abschied bedeutsam.  Da der Lehrgang noch nicht beendet ist, kann es noch keine abschließende Bewertung über den Verlauf dieser Phase geben.

 

Bei der Entwicklung der Probandengruppen  ist festzustellen, daß die Bewährungshelfer mit Interesse und Schwung an die ersten Gruppenbildungen herangingen. Die 1.Seminarwoche hatte sie darauf vorbereitet. Die Motivation der Probanden gelang nur in einigen Fällen, so daß die ersten Schwierigkeiten auftraten. Einige Probanden waren von der Gruppenidee zu begeistern, die meisten doch eher skeptisch und abwartend. So war die Anfangsphase geprägt zwischen Lust und Frust. Dazu kam das Problem, daß es nicht genügend gewaltbereite Probanden in der Bewährungshilfe gab. Dieses Problem wurde durch eine Ausweitung der Deliktgruppe gelöst. Schließlich haben nach 1 Jahr Lehrgangsteilnahme alle Bewährungshelfer einen Gruppendurchlauf mit Probanden absolviert. Dieser wurde auch schriftlich dokumentiert und in 2 Untergruppen gemeinsam besprochen.

Durch die eigene Gruppenerfahrung in der Lehrgangsgruppe konnte sich das Selbstvertrauen der Teilnehmer steigern und sie entfalteten im weiteren Verlauf unterschiedliche Gruppenangebote. Dabei wurden durch die eigene Kompetenzentwicklung der Bewährungshelfer auch immer mehr erlebnisorientierte Gruppen angeboten.

Insgesamt wurden in den 2 Jahren der Lehrgangsdurchführung von den beteiligten Bewährungshelfern 17 Probandengruppen durchgeführt.

Nach A. und E. RUBNER (1995) könnten nun die Phasen der einzelnen Probandengruppen betrachtet werden, das ist aber nicht mein Vorhaben, diese Analyse sollten die Leiter der Probandengruppen zu gegebener Zeit vornehmen.

 

Die Bestätigung der Gruppenmitglieder über die ersten Erfolge bei der Gruppenbildung bestärkte ihre Vorhaben. Die Arbeitsbelastung für die Teilnehmer war groß, denn sie betrieben die Gruppenbildung, schriftlichen Auswertungen und Theoriearbeit zusätzlich zu ihrer fortlaufenden dienstlichen Tätigkeit. Die erfolgreiche Erstellung dieser Arbeiten war dann aber auch ein Gewinn für die Bewährungshelfer. Sie konnten ihre Arbeitsfähigkeit unter Beweis stellen. Diese ist natürlich individuell unterschiedlich zu gewichten - was einem persönlichen Feedback vorbehalten ist -, aber durch die Tätigkeit der gesamten Gruppe hat sich die Möglichkeit der Weiterentwicklung der Bewährungshilfe in Hessen ermöglicht.

 

Anschließend will ich die Bedeutung der Gruppenarbeit für die Institution der Bewährungshilfe betrachten. Durch die Gruppenarbeit kann die tradierte Einzelfallhilfe ergänzt werden und selber eine Bereicherung erfahren. Es tritt einerseits eine Veränderung von Seiten der Bewährungshelfer gegenüber den Probanden ein. Die Verbindlichkeit und Ernsthaftigkeit des Angebots des Bewährungshelfers steigt und ist auch einforderbar. Anderseits eröffnen Gruppenaktivitäten eine größere Nähe zu den Probanden. Das Veränderungspotiential der Probanden kann dabei eher mobilisiert werden. Damit diese Weiterentwicklung auch eine langfristige Auswirkung auf die Arbeitsform der Bewährungshilfe hat, bedarf es weiterer Maßnahmen. Gruppenarbeit sollte ein fester Bestandteil der Bewährungshilfe sein und nicht „ausschließlich von (der) persönlichen Motivation abhängig“ (LIPPENMEIER, 1981) sein. Mit der festen Verankerung, also der Institutionalisierung der Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe in Hessen, beschäftige ich mich abschließend im folgenden Abschnitt. Dies ist auch verbunden mit einem Ausblick auf die kommenden Aufgaben bezüglich der Entwicklung von Gruppenarbeit und Bewährungshilfe.

 

4.2 Institutionalisierung von Gruppenarbeit in der hessischen

      Bewährungshilfe

 

Im Frühjahr 1997 haben einige hessische Bewährungshelfer ein Konzept zur Institutionalisierung von Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe ihren Kollegen und dem Hessischen Justizministerium vorgestellt. RECKLING u.a., 1997 führen in ihrer Begründung aus, daß ein breiter methodischer Ansatz notwendig sei. „Die Verbreitung weiterer Methoden in der Bewährungshilfe sind notwendig, um den Anforderungen unserer Zeit gerecht zu werden. Damit effektiv mit den straffälligen Menschen gearbeitet werden kann, bedarf es einer differenzierten Diagnostik und Betreuung. Steigende Probandenzahlen,, schwieriger werdendes Klientel und schlechter werdende gesellschaftliche Bedingungen zur Integration von Straffälligen, erfordern eine größere Methodenvielfalt in der Bewährungshilfe. Neben moderner und effektiver Verwaltungsarbeit muß auch die sozialpädagogische Betreuung der Straffälligen erweitert werden, um adäquater mit der Gesamtheit ihren Persönlichkeiten arbeiten zu können. Ein verstärkter Trend Verwaltungsaufgaben zu perfektionieren, wird nur die Bürokratisierung verstärken, nicht aber die notwendige Hilfe für die Straffälligen zur Überwindung ihrer problematischen Situation verbessern. Ein breiter methodischer Ansatz ist in der Bewährungshilfe angebracht, der neben der bestehenden Einzelfallhilfe auch gruppenpädagogische, familientherapeutische- und stadtteilbezogene Arbeitsformen einschließt.“

In den weiteren Begründungen nehmen sie Bezug auf die bekannten Vorteile der Gruppenarbeit. Bei der Durchführung gehen sie von einer eigenständigen Betreuung von Probanden in Kooperation mit den Beratungsstellen der Bewährungshilfe und den Gerichten aus. „Die Mitarbeiter des Projektes werden das eigenständige und regional übergreifende Angebot für die gruppenmäßige Betreuung durch problem- und erlebnisorientierte Gruppenarbeit ausrichten. Zielsetzung ist dabei die teilnehmenden Probanden auf dem Weg zu einem straffreien Leben zu begleiten. Das erfordert von den Gruppenleitern, unbequeme Fragen aufzuwerfen und Auffälligkeiten anzusprechen und mit der Straffälligkeit in Verbindung zu setzen. Der erlebnisorientierte Ansatz bietet die Chance näher an der Problemwelt der Probanden zu sein, da gerade ihre Wahrnehmung handlungsorientiert ist. „Lernen durch das Tun“ steht im Mittelpunkt.

Die erlebnisorientierte Gruppenarbeit ist eine anerkannte Methode beispielsweise in der freien Jugendarbeit. In der Bewährungshilfe gibt es erste Erfahrungen in Form von Kletter- und Wandergruppen sowie teilweise in Verbindung mit Seminararbeit. Diese Methode bietet die Chance gerade bei delinquenten Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine positive Perspektive zu entwickeln und Defizite zu reduzieren. Die Erlebnispädagogik bietet die Möglichkeit die allgemeinen Vorteile der Gruppenarbeit zu nutzen und zu intensivieren.“ Das Projekt will überregional arbeiten, so daß die Verurteilten direkt den Projektmitarbeitern als Bewährungshelfer unterstellt werden. „Im Vorfeld einer gerichtlichen Hauptverhandlung soll eine Kontakt- und Informationsmöglichkeit für die potentiellen Teilnehmer geschaffen werden.“

Die geplanten Gruppenaktivitäten sollen in der Regel einen erlebnispädagogischen Charakter annehmen und in folgenden Phasen ablaufen: Vorbereitung, Aktivität, Auswertung und Nachbetreuung. Vorgesehen sind Veranstaltungen , wie „Erlebniswanderung in fremder Umgebung mit einfachsten Mitteln, Kanutour auf der Lahn oder Aufenthalt auf einer Burg in Hessen mit Elementen der Seminararbeit“. Die Durchführungszeit für einen Gruppendurchgang soll 1 Jahr dauern und mit einem Abschlußbericht an das zuständige Gericht bzw. den entsendenden Bewährungshelfer enden. Die Betreuung durch den Bewährungshelfer soll damit beendet sein, was eine wesentliche Veränderung zur bisherigen Bewährungshilfepraxis darstellt. Bisher erfolgt die Unterstellung unter den Bewährungshelfer für 2 bis 5 Jahre und die Durchführung von Gruppenaktivitäten hing immer von der Bereitschaft des am Ort tätigen Bewährungshelfer ab. Nun soll das Gruppenangebot überregional  durchgeführt werden. An den Orten, wo es Bewährungshelfer gibt, die mit ihren Probanden Gruppenarbeit veranstalten, soll dies auch weiterhin geschehen. Diese Gruppenaktivitäten sollen von den Mitarbeitern des Projektes unterstützt werden.  Sie bieten damit eine Beratungs- und Organisationshilfe an.

Bei der Organisation des Projektes geht der Vorschlag von folgenden Vorstellungen aus: „In dem Projekt sind 2 feste Mitarbeiter tätig. Zusätzliche Mitarbeiter werden auf Teilzeitbasis für einzelne Aktivitäten engagiert, wie für Kanutouren- und Wanderbegleitungen. Die Deckung des Personalbedarfs ist durch das Hessische Ministerium der Justiz und für Europaangelegenheiten zu gewährleisten“. Die Sachkosten sollen ebenfalls von der Justiz aufgebracht werden. Das Projekt wird als ein Versuch dargestellt, mit den Mitteln der Gruppenpädagogik im Bereich der Straffälligenhilfe Alternativen zu entwickeln. Dieser Versuch soll über 3 Jahre andauern. Nach erfolgreichem Verlauf soll es fest in die Planung der Straffälligenhilfe integriert werden.

Mit der Verwirklichung dieses Projektes könnte sich die Institutionalisierung von Gruppenarbeit als fester Bestandteil in der Bewährungshilfe entwickeln. Zur weiteren Verankerung der Gruppenarbeit ist von verschiedenen Bewährungshelfern vorgesehen einen speziellen Verein zur Förderung der Gruppenpädagogik in der Bewährungshilfe zu gründen .

 

 

 

 

 

 

5. Literaturliste

 

Altrichter, Herbert; Lobenwein, Waltraud; Welte, Heike, PraktikerInnen als ForscherInnen. Forschung und Entwicklung durch Aktionsforschung, in: Friebertshäuser, Barbara und Prengel, Annedore (Hrsg.), Handbuch qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft, Weinheim und München 1997

Berentzen, D.,Das Märchen von der Jugendgewalt in: „Psychologie heute“, Nr.8, 1992

Brenner, Gerd, Erlebnispädagogik - Ein Rettungsring für die Jugendarbeit? in: „Deutsche Jugend“, Heft 10, Mönchengladbach 1993

Bauriedl, Thea, Verstehen und trotzdem nicht verstanden sein, 1993

Forum Ahlberg, Lehrgang : Erlebnisorientierte Gruppenarbeit mit gewaltbereiten und rechtsradikalen Jugendlichen und jungen Erwachsenen  (Ausschreibung), Immenhausen 1994,

Forum Ahlberg, Einladung zum 3.Seminar (an die Kursteilnehmer), Immenhausen 1996,

Hafeneger, Benno,Thesen zur Arbeitsgruppe IV der Tagung des Hessischen Ministerium der Justiz „Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit - Reaktionsmöglichkeiten und -grenzen der Justiz“, Schlangenbad 1994

Heye, W. , Jugendliche zu ihrer Lebenssituation und Perspektiven für die Jugendarbeit vor dem Hintergrund sozialen Wandels, Hannover 1987

Goldbrunner, Hans, Therapeutische Gruppenarbeit mit Straffälligen, Stuttgart 1983

Grate, M.,  Gegen die Dramatisierung der „Jugendgewalt“, in „Jugendnachrichten“ des Bayrischen Jugendringes, 1991

Hessisches Ministerium der Justiz (Herausgeber), Sachverständigenkommission für Kriminalprävention der hessischen Landesregierung (Präventionsrat), Wiesbaden 1993

Krafeld, F.J., Akzeptierende Jugendarbeit mit rechten Jugendcliquen, Bremen 1992

Lamnek, Siegfried, Qualitative Sozialforschung, Weinheim und München 1989

Lippenmeier, Norbert, Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe - Eine Bestandsaufnahme, Bonn 1971

Lippenmeier, Norbert (Hrsg.), Arbeitskreis Gruppenarbeit mit Probanden, Bonn 1979

Lippenmeier, Norbert, Soziale Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe (Aufbau einer Regionalgruppe), Bonn 1981

Lippenmeier, Norbert und Sagebiel, Felizitas, Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe, in Frieder Dünkel u.a.: Strafaussetzung zur Bewährung im internationalen Vergleich, Freiburg 1982

Neidhart, N.,  „Einzelhilfe“ in: Fachlexikon der sozialen Arbeit, Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge (Herausgeber), Frankfurt 1980

Pilz, Gunter A., Jugend, Gewalt und Rechtsextremismus, Hannover 1993

Reckling, Peter, Untersuchung über die Gruppenarbeit in Hessen 1987-92, Marburg 1992

Reckling, Peter, Gruppenpädagogik in der Straffälligenhilfe, Projekt zur Institutionalisierung von Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe Hessen (Entwurf),  Marburg 1997

Rousseau, Jean-Jacques, Emil oder über die Erziehung, Paderborn 1975

Rubner, Angelika und Rubner, Eike, Die Entwicklung einer Gruppe  in: TZI Pädagogisch-therapeutische Gruppenarbeit nach Ruth C. Cohn, Stuttgart 1995

Stemmildt, Frank, „Schwerpunktthema Bewährungshilfe“ in der interministeriellen Arbeitsgruppe: Jugendstrafverfahren und Jugendstrafvollzug in Hessen, Frankfurt 1996

Strafgesetzbuch, Beck-Texte, 1996

Volk, Stephanie, Erlebnisorientierte Gruppenarbeit als Methode der Arbeit mit Probanden der Bewährungshilfe, Hüttenberg 1997

Ziegenspeck, Jörg, Erlebnispädagogik: Entwicklungen und Trends in: Spektrum Freizeit, Heft 1, Baltmannsweiler 1996

 

 



[1]Die Zeit 19.08.94

[2]In meinen weiteren Ausführungen werde ich den Begriff „Bewährungshilfe“ verwenden. In der Aufbauphase der Bewährungshilfe war eine enge Verbindung zwischen den am gerichtlichen Verfahren beteiligten Personen  gegeben: Richter - Proband (Verurteilter) - Bewährungshelfer. Das hat sich aber mit den Jahren der Ausbreitung der Bewährungsstrafen verändert. Die Entwicklung führte zu der Institution der Bewährungshilfe, auch wenn dies viele Bewährungshelfer nicht wahrhaben wollen.  Die Betrachtung der Bewährungshilfe als Institution  verändert auch die Sichtweise. Es gibt damit einen institutionellen Auftrag und Standard; die Arbeit mit dem Probanden wird somit nicht mehr allein abhängig von dem „Können und Wollen“ des Bewährungshelfers.

[3]Das Projekt wird in Form eines Lehrganges von September 1995 bis 1997  vom FORUM AHLBERG mit dem Titel: „Pädagogischer Umgang mit gewaltbereiten und rechtsradikalen Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Bewährungshilfe in Hessen“ durchgeführt.

[4]Der Lehrgang wird im Herbst 1997 abgeschlossen. Die Teilnehmer werden eine Abschlußarbeit über ihre Gruppenerfahrungen an ihrem Arbeitsort erstellen und ein spezielles Thema für das ausstehende Kolloquium vor einem kleinen Fachpublikum vortragen und zur Diskussion stellen.

[5]siehe Statistik der Landesarbeitsgemeinschaft der hessischen Bewährungshelfer vom 31.12.1995, Frankfurt 19996.

[6]Die genannten Zahlen bezweifle ich. Bei der erwähnten Umfrage von 1990 wurde mit Hilfe eines Ankreuzverfahrens die praktizierte Methode der Bewährungshelfer erfragt. Es wurde aber nicht danach gefragt, welchen Stellenwert diese Methode bei den einzelnen Bewährungshelfern einnimmt. So konnte statistisch auch die Angabe einer einmaligen Gruppenveranstaltung gewertet werden, obwohl sonst dieser Bewährungshelfer die Methode der Gruppenarbeit nicht anwendet.

[7]siehe Bericht über die Tagung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 04.07.1994

[8] Das Lehrgangskonzept des FORUM AHLBERG (1994) sieht vor, daß die Bewährungshelfer die Möglichkeit ihre Kompetenzen in erlebnisorientierter Gruppenarbeir erweitern und einen angemessenen Umgang mit gewaltbereiten und rechtsradikalen Jugendlichen entwickeln. In der Fortbildung sollen Informationen gegeben und erarbeitet werden. „Das eigene Erfahren von exemplarischen Situationen in der Lehrgangsgruppe dient der Kompetenzsteigerung, mit gruppendynamischen Prozessen in Probandengruppen umzugehen“. In den Lehrgangsseminaren sollen nach Bedarf und in Absprache mit den Teilnehmern erlebnispädagogische Aktivitäten entfaltet werden. „Ziel des Lehrgangs ist es, selbst Gruppenarbeit mit Probanden durchzuführen“. Der Lehrgang wird in fünf einwöchigen Seminaren  veranstaltet. Die Seminare haben folgende thematischen Schwerpunkte: „1.Seminar: Analyse der Ausgangsbedingungen und konkrte Vorüberlegungen für Gruppenarbeit, Auseinandersetzung mit Kriminalitäts-, Aggressions- und Kleingruppentheorien, Rechtsradikales Gedankengut und eigene Wertvorstellungen, Bildung von regionalen Supervisionsgruppen und erlebnispädagogische Aktivität in der Umgebung des Reinhardswaldes. 2.Seminar: Auswertung der 1.Gruppenansätze und Besprechung der auftretenen Fragen, Techniken der Gesprächsführung (Rollenspiele), Struktur, Zusammenhalt und gemeinsame Werte rechtsgerichteter Gruppen, Gewaltbereitschaft in Jugendszenen und der eigene Umgang mit der Angst, Täterprofile anhand exemplarischer Ausarbeitung und eigenen Fallmaterials der TeilnehmerInnen und Einführung in die Gruppendynamik. 3.Seminar: Erlebnispädagogik in Theorie und Praxis: Aufenthalt in einem alten, einfach ausgestatteten Bauernhaus in Frankreich mit Selbstverpflegung (neben dem Erfahren des „einfachen Lebens“, werden erlebnisorientierte Aktivitäten wie Höhlenwanderung, Kanufahrt etc. durchgeführt), Bearbeiten der weiteren Gruppenerfahrungen unter besonderer Berücksichtigung gruppendynamischer Aspekte und Besprechung und Bewertung der schriftlichen Zwischenauswertung der Gruppenarbeit der Teilnehmerinnen. 4.Seminar: Auswertung der erlabnispädagogischen Aktivitäten, Umsetzung in die eigene Praxis und Planung eigener Arbeitskonzeptionen, Bearbeitung der eigenen Gruppenarbeit der TeilnehmerInnen und die Einleitung des Gruppenabschlusses (Ablösungsprozeß) und Vorbereitung des Abschlußkolloquiums (Themenfestlegung, Literatur). 5.Seminar: Rechtsradikalismus in Beziehung zu Kooperation und Kommunikation (Gruppenarbeit versus Führerprinzip), Vorstellung und Besprechung der Abschlußarbeiten (Schriftliche Auswertung des Gruppenprozesses), Kolloquium (Vorstellung vorbereiteter Themen, Referate, Darstellungen etc. und Bewertung durch Kursleitung und TeilnehmerInnen), Lehrgangsauswertung und weitere Zielplanung.“

Zusätzlich werden 20 Supervisionssitzungen à 90 Minuten innerhalb der 2jährigen Lehrgangszeit durchgeführt. Die Supervisionsgruppen werden regional gebildet und wurden in Kassel und Frankfurt durchgeführt. Die begleitende Supervisionen bieten Gelegenheit, die konkreten Erfahrungen mit der Gruppenarbeit zu besprechen, auftretende Schwierigkeiten bei der Umsetzung des gelernten in die Praxis zu thematisieren und institutionelle wie individuelle Probleme zu reflektieren.

Die Lehrgangsleitung besteht aus Dorothee und Norbert Lippenmeier und Peter Reckling.

Die Ausbildung  schließt mit einem Kolloquium ab. Nach erfolgreicher Teilnahme wird ein Zertifikat von dem Veranstalter mit qualifizierter Beurteilung ausgestellt.

Veranstalter ist das FORUM AHLBERG.

Träger ist das Hessische Ministerium für Justiz.

[9] Die Landesarbeitsgemeinschaft der hessischen Bewährungshelfer und Bewährungshelferinnen (LAG) führt eine Statistik über die Fallzahlen der Bewährungshelfer und differenziert dabei auch nach Unterstellungsarten, wie Jugendrecht (JGG) oder Strafgesetzbuch (StGB). Die benannten Zahlen sind dem LAG-Aktuell Nr. 1/97 entnommen.

STEMMILDT (1996) verwendet noch eine langfristigere Statistik, aus der deutlich wird, daß sich das Verhältnis bei der Betreuung von Jugendlichen und Erwachsenen innerhalb von 30 Jahren annähernd umkehrte: 1966: StGB 34 % / JGG 66 %, 1980: StGB 50 % / JGG 50 %, 1989: StGB 72 % / JGG 28 %, 1994: StGB 80 % / JGG 20 %.

[10]siehe Lehrgangsausschreibung des FORUM AHLBERG (1994) unter Fußnote 8.

[11] Hansjörg Sing, Der Jakobsweg, Ulm 1985

[12] Siehe Ausschreibung des FORUM AHLBERG an die Lehrgangsteilnehmer für die 3.Kurswoche

[13]In Franken ist zwischen Nürnberg und Rothenburg o.d. Tauber eine Teilstrecke des Pilgerweges markiert. Die Markierung orientiert sich an dem historischen Verlauf des Weges. Der Fränkische Albverein hat dazu das Buch:  Auf dem Jakobsweg , Uffenheim 1995 herausgegeben. Siehe auch die Fußnoten 11 und 12.

[14] Ausschreibung des Lehrgangs durch das FORUM AHLBERG im Juni 1994 an das Hessische Ministerium der Justiz.

[15]STEPHANIE VOLK (1997) hat in ihrer umfangreichen Diplomarbeit das Thema „Erlebnisorientierte Gruppenarbeit als Methode der Arbeit mit Probanden der Bewährungshilfe“ bearbeitet. Dazu hat sie zum Autor Kontakt aufgenommen und schließlich Probanden interviewt, die an der von ihm veranstalteten  erlebnis-orientierten Wanderung teilnahmen. Sie selber hat an dieser Wanderung nicht teilgenommen und ist auch keine Mitarbeiterin der Bewährungshilfe. Das Interview wurde bewußt ohne die Teilnahme des Autors und damit für die Probanden zuständigen Bewährungshelfers durchgeführt, damit sie sich frei äußern können.

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