Neue Wege:

Soziale Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe

 

 

Die Anwendung umfassender Methoden in der Bewährungshilfe ist notwendig, um den Anforderungen der Zeit gerecht zu werden. Damit effektiv mit den straffälligen Menschen gearbeitet werden kann bedarf es einer differenzierteren Diagnostik und Betreuung. Die Bewährungshilfe wird von den Gerichten verstärkt in Anspruch genommen, um Verurteilten eine Hilfe und Aufsicht zu erteilen. In Hessen betreut jede der 159 BewährungshelferInnen durchschnittlich 75 Personen. Da einige Probanden mehrfache Bewährungen haben, ist durchschnittlich jede BewährungshelferIn für 95 Bestellungen zuständig. Demgegenüber steht die "ideale" Fallzahl von maximal 40 Probanden, die noch nie erreicht wurde, aber weiter eingefordert werden sollte.

 

Steigende Fallbelastung

Steigende Probandenzahlen, schwieriger werdendes Klientel und schlechter werdende gesellschaftliche Bedingungen zur Integration von Straffälligen erfordern eine größere Methodenvielfalt in der Bewährungshilfe. Neben moderner und effektiver Verwaltungsarbeit muss auch die sozialpädagogische Betreuung der Straffälligen erweitert werden, um adäquater mit der Gesamtheit ihren Persönlichkeiten arbeiten zu können. Ein verstärkter Trend Verwaltungsaufgaben zu perfektionieren, wird nur die Bürokratisierung verstärken, nicht aber die notwendige Hilfe für die Straffälligen zur Überwindung ihrer problematischen Situation verbessern.

 

Erweiterter methodischer Ansatz

Ein erweiterter methodischer Ansatz in der Bewährungshilfe sollte neben der bestehenden Einzelfallhilfe auch gruppenpädagogische, familientherapeutische- und stadtteilbezogene Arbeitsformen einschließen. Diese Betreuungsformen werden mithelfen, auf die Anforderungen der Zeit zu antworten und ein effektiveres Veränderungspotential bei den betreuten Personen zu bewirken. "Der Bewährungshelfer steht dem Verurteilten helfend und betreuend zur Seite", sagt der Gesetzgeber im StGB (§ 56 d, Abs. 3) und lädt gerade zu einer Methodenvielfalt ein.

Die Weiterentwicklung der Bewährungshilfe sollte über eine differenzierte Angebotspalette zu einer Schwerpunktarbeit der BewährungshelferInnen führen.

Im Weiteren soll die soziale Gruppenarbeit als ein Schwerpunkt mit ihren Möglichkeiten an effektiver sozialpädagogischer Straffälligenhilfe dargestellt werden.

 

Vorteile von sozialer Gruppenarbeit

In der Vergangenheit haben sich Praktiker und Theoretiker mit der Gruppenarbeit in der Bewährungshilfe beschäftigt und die damit verbundenen qualitativen Vorteile überzeugend aufgeführt. "Problemorientierte Gruppenarbeit wird im Rahmen von Bewährungshilfe als besonders geeigneter Ansatz zur Lösung personaler und sozialer Probleme von Straffälligen angesehen", betonen Lippenmeier und Sagebiel .

"Die Probandengruppe ist ein soziales Lernfeld, in dem der einzelne üben kann, selbständig zu werden. Die Gruppenmitglieder können lernen, durch inhaltliche Auseinandersetzungen Entscheidungen gemeinsam zu treffen und diese in die Praxis umzusetzen. Sie erhalten die Möglichkeit, sich persönlich zu akzeptieren, sich wohlzufühlen und emotional zu äußern."2 Kapp hat überzeugend ausgeführt, dass die Gruppe unterschiedliche Identifikationsmöglichkeiten bietet und kleine, überschaubare Gruppen vermitteln neue Orientierungen, fördern Rollenflexibilität und verhelfen zu einer besseren Realitätswahrnehmung

 

Historische Entwicklung

Gruppenarbeit hat seit der Gründung der Bewährungshilfe 1954 bisher immer nur vereinzelt stattgefunden. Einzelne Bewährungshelfer bildeten Gruppen mit ihren Probanden, sowohl freizeit- und als auch gesprächsorientiert. In den 80er Jahren gab es verstärkte Bemühungen mit der Methode der problemorientierten Gruppenarbeit bei den Straffälligen Verhaltensänderungen zu bewirken. Dabei orientierte man sich an dem US-amerikanischen Modell der "social group work". Diese Entwicklung hatte auch ihre Auswirkungen in Hessen, wo seit 1987 eine Gruppe von BewährungshelferInnen sich zusammengeschlossen hatte, um gemeinsam die Erfahrungen in der Gruppenarbeit zu bearbeiten. Bis 1999 wurden von den BewährungshelferInnen viele Gruppenprojekte initiiert. Das Hessischen Justizministerium führte 1995-97 ein Lehrgang für erlebnisorientierte Gruppenarbeit durch. Trotz dem blieb es dabei, dass die soziale Gruppenarbeit nicht zum Standardprogramm der Bewährungshilfe wurde.

 

Straffreies Leben und Lernprozesse nachholen

Soziale Gruppenarbeit bietet der Bewährungshilfe gerade ein reichliches Repertoire an Möglichkeiten, die bei geeigneten Probanden vielversprechende Verhaltensänderungen bewirken können.

 

Vorteile der Gruppe für die Straffälligenhilfe nutzen

Darüber hinaus wird durch Gruppenerfahrung bewirkt, dass

 

Die soziale Gruppenarbeit bietet eine Perspektive für die sozialpädagogische Arbeit mit den Straffälligen. Bisher ist dieses Angebot davon abhängig gewesen, ob der Bewährungshelfer oder die Bewährungshelferin ein Gruppenangebot an die eigenen Probanden richtete. Dabei wird an verschiedenen Orten in Hessen in der Bewährungshilfe Gruppenarbeit mit unterschiedlichem Ansatz praktiziert. Die Praxis reicht von problem- und gesprächsorientierten Gruppen bis zu sport- und erlebnisorientierten Angeboten.

 

Institutionalisierung der Gruppenarbeit in Marburg

In Marburg ist die Gruppenarbeit im Konsens der KollegInnen seit 1998 institutionalisiert. Für geeignet erscheinende Probanden werden ausschließlich Gruppenarbeit durchgeführt. Die Probanden werden in Absprache mit dem zuständigen Bewährungshelfer ausgewählt und dem Gruppenprojekt vorgeschlagen und dem Bewährungshelfer, der die Gruppen leitet zugeordnet. Mit diesen Probanden wird entsprechend Gruppenarbeit in Form von Gesprächsgruppen mit problem- bzw. themenorientiertem Ansatz und erlebnispädagogische Aktivitäten, wie Wanderungen, Seminare und andere Projekte, durchgeführt.

 

Probandenauswahl

Der zuständige Bewährungshelfer sichtet nach Akteneingang diese und führt mit den Probanden ein erstes Gespräch. Eine Beratung mit dem Kollegen, der die Gruppe leiten wird, schließt sich dem an. Die ausgewählten Probanden werden dann zu einer Eingangsveranstaltung eingeladen. Auf dieser Veranstaltung wird die geplante Gruppenarbeit vorgestellt. Dieses erste Treffen wird schon in Form eines Gruppengespräches durchgeführt. Es wird dabei den Probanden deutlich gemacht:

 

Standards der Gruppen

Aus der Erfahrung ergeben sich folgende Standards für die problem- bzw. themenorientierte Gruppenarbeit:

Arbeit / Arbeitslosigkeit, Wohnung / Wohnungssuche, Alkohol / Drogen / Sucht,

Freizeitgestaltung und andere Fragen der Lebensführung.

 

Jährlich 2 – 3 Gruppen

Es werden erst einmal 2 - 3 Gruppenmaßnahmen mit jeweils 5 - 8 Probanden pro Jahr in Marburg eingerichtet. Diese arbeiten zeitversetzt. Im März 2000 hat die 4. Gruppe begonnen, während die erste Gruppe im November 99 mittlerweile abschloss.

 

Außendarstellung

Die Probanden werden über das Gruppenprojekt in Form des persönlichen Gesprächs und eines Faltblattes informiert. Die Erstgespräche mit den Probanden werden ausführlich geführt und die Probanden erhalten zur Entscheidungsfindung die Möglichkeit für ein 2. Gespräch.

Bei den Richtern des Amtsgerichts Marburg und der Staatsanwaltschaft wurden im persönlichen Gespräch über das Gruppenprojekt informiert. Dabei wurde auch die Verkürzung der Unterstellungszeit abgesprochen. In den Berichten des Bewährungshelfers über die Probanden, die am Gruppenprojekt teilnehmen, wird immer wieder über den aktuellen Stand berichtet.

 

Personalausstattung

Für das Gruppenprojekt ist ein Bewährungshelfer mit einer ½ Stelle tätig. Die Fallzahl liegt pro Kalenderjahr bei 15 Probanden. Nach erfolgreichem Durchlauf einer Gruppe wird bei den jeweiligen Gerichten die Verkürzung der Unterstellungszeit auf 1 Jahr beantragt. Die Probanden haben damit den Vorteil, dass sie anstatt 3 Jahre dem Bewährungshelfer unterstellt zu sein, nach 1 Jahr intensiver Arbeit die Unterstellung aufgehoben bekommen. Somit wird, berechnet auf einen 3-Jahres-Durchlauf, die Probandenzahl ( ½ Stelle = 45 Probanden) ungefähr genauso hoch sein, wie bei den anderen Marburger KollegInnen.

Als unabdingbar erscheint die Einbeziehung eines Co-Leiters in jede Gruppe. Zur Unterstützung der Gruppenmaßnahmen ist vorgesehen geeignete ehrenamtliche MitarbeiterInnen und PraktikantInnen hinzuziehen.

Die begleitende Supervision ist für die Gruppenleiter zur Reflexion der Gruppenprozesse unabdingbar.

 

Aktueller Gruppenverlauf

Gruppe 1 startete im November 99 mit 4 Probanden. Zu Anfang des Jahres 99 kamen weitere 3 Probanden hinzu. Die Gruppe wurde von mir mit einem Co-Leiter, dem Jahrespraktikanten geleitet. Es fanden 22 Sitzungen und 2 erlebnispädagogische Aktivitäten auf der Burg Ludwigstein statt.

 

Erste Gruppe abgeschlossen

Zum Abschluss bestand die Gruppe aus 5 Probanden. 3 haben die vereinbarten Anforderungen erfüllt: sie haben sich aktiv an den Gruppensitzungen beteiligt, in der Gruppe ausführlich ihre Lebenssituation dargestellt und nicht mehr als 10% gefehlt. Bei ihnen erfolgte die Verkürzung der Unterstellungszeit bzw. der Abschluss der Bewährungszeit. Ein Teilnehmer hat so häufig gefehlt, dass mit ihm vereinbart wurde, die fehlende Zeit in einer andere Gruppe nachzuholen. In einem Fall hat die Staatsanwaltschaft München der Verkürzung der Bewährungszeit nicht zugestimmt. Mit diesem Probanden wurde vereinbart, dass er in einer anderen Gruppe noch ein weiteres 1/2 Jahr mitarbeitet. Die Themen der Gruppensitzungen waren u.a.: Arbeitssuche, neue Straffälligkeit, Drogen- bzw. Alkoholabhängigkeit.

 

Fotos aus Kindheit und Jugendzeit

Die Darstellung der persönlichen Situation erfolgte über die Vorstellung von privaten Fotos der Probanden aus ihrer Kindheit, Jugendzeit und heutigem Leben (wie PartnerInnen, Wohnsituation, Autos und Statussymbolen). Diese Darstellungen, an denen sich alle Gruppenmitglieder beteiligten, führten zu vertieften Gesprächen über persönliche Erfahrungen (wie positive Bestärkungen oder Ablehnungen). Im Rahmen einer Wochenendveranstaltung, fuhr die Gruppe gemeinsam auf die Burg Ludwigstein.

 

Seminarwochenende auf Burg Ludwigstein

Dort wurden in Form einer Seminarveranstaltung intensive Gruppengespräche zu thematischen Schwerpunkten geführt und Collagen erstellt. Eine Wanderung auf die thüringische Burg Hanstein brachte das erlebnispädagogische Element hinein. Durch die gesamte Veranstaltung wurde das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gruppe wesendlich gestärkt. Es kam auch noch das Zusammentreffen mit anderen Jugendgruppen auf der Burg hinzu, die die Fragen der Selbstdarstellungen aufwarf. Die Tätowierungen eines Probanden traten dabei besonders in den Blickpunkt.

 

Gruppenleitung bei Bewährungshelfer und Co-Leiterin

Gruppe 2 begann im Mai 99 mit 2 Probandinnen und 4 Probanden. Die Gruppenleitung liegt ebenfalls bei mir und einer Co-Leiterin, die als Theologin und Praktikantin in ihrer Erzieherausbildung für 1 Jahr ihre Teilnahme zusagte. Auch diese Gruppe läuft in erster Linie problemorientiert: die Probandinnen und Probanden werden ermuntert über ihre Lebenssituation und Probleme zu sprechen. Eine Teilnehmerin wurde nach 3 Monaten aus der Gruppe ausgeschlossen, da sie unregelmäßig und alkoholisiert in die Gruppe kam.

 

Intensive Gespräche über Schuldenregulierung, Gewalt und Unterhaltszahlungen

Diese Gruppe zeichnet sich durch intensive Gespräche über die Lebenssituation der Probanden aus: Schuldenregulierung, Gewalttätigkeit in besonderen Situationen, Unterhaltszahlungen, Wohnungs- und Arbeitsuche, Erziehungsprobleme mit den eigenen Kindern, Suchtfragen, Erfüllung der gerichtlichen Arbeitsauflage. Mit der Gruppe fand Anfang 2000 eine mehrtägige Erlebnisaktivität auf der Burg Ludwigstein statt.

 

Suchterfahrungen der Probanden

Gruppe 3 besteht seit Oktober 99. Es sind 6 Probanden im Alter von 23 bis 35 Jahren. Die Gruppenleitung liegt bei einem Jahrespraktikanten (Sozialarbeiter) und mir. In dieser Gruppe wird mehr themenorientiert gearbeitet. Anhand eines Fragebogens zur Suchtproblematik wurden mehrere Sitzungen über die eigenen Erfahrungen der Probanden gesprochen: Wann hatten sie erste Drogenerfahrungen? Erfolgten diese mit Freunden oder durch die Eltern? Was hatte ihnen am meisten geholfen, ihre Suchtprobleme zu bekämpfen?

 

Erfolgreicher Verlauf

Das Gruppenprojekt verläuft nach den ersten Erfahrungen erfolgreich. Es stellt sich, wie auch in der Einzelfallhilfe, als schwierig heraus, die Probanden zu motivieren und zu einer regelmäßigen Teilnahme zu bewegen. Kommt es dann zu thematischen Gruppengesprächen, dann sind diese meist sehr intensiv und konstruktiv. Eine genaue zahlenmäßige Auswertung ist noch nicht möglich, da das Projekt sich noch in der Erprobungsphase befindet. Es ist aber festzustellen, dass die projektierte Zahl von jährlich 2-3 Gruppen mit insgesamt 15 Personen erfüllt wurde.

Die erlebnisorientierten Gruppenarbeit: Erlebniswanderung auf dem Jakobsweg wird als eigenständige Aktivität durchgeführt. Für diese Gruppe besteht auch ein besonderer Standard, der gesondert beschrieben wird. Erlebnispädagogik in der Bewährungshilfe

 

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